Warum werden Korrektorat und Lektorat unterschieden?
Die Unterscheidung zwischen Lektorat und Korrektorat klingt nach Korinthenkackerei. Und das ist sie auch – zumindest für jene, die weder das eine noch das andere wollen, oder als Stammtischthema für solche, die beides aus der Praxis kennen und lediglich zwischen zwei Bieren ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern wollen.
Wichtig ist die Unterscheidung trotzdem, weil viele Kunden sie nicht kennen oder für ihre aktuelle Baustelle nicht richtig einschätzen können. Außerdem gibt es mittlerweile jede Menge Menschen, die Lektorat anbieten und Korrektorat meinen oder Korrektorat anbieten und darunter Drüberlesen nach Bauchgefühl verstehen. Manche vergeben für ihre Nachlesespecials exotische Namen wie Korrektorat plus, erweitertes Korrektorat oder Lektoratsberatung. Das macht die Sache nicht einfacher.
Korrektorat und Lektorat haben unterschiedliche Ziele
Korrektorat hat ein klares Ziel. Erweiterungen, Einschränkungen oder Neudefinitionen dieses Begriffs sind also ebenso unnötig wie Diskussion darüber, ab wann ein Herd als sauber zu bewerten ist. Ein korrekter Text ist fehlerfrei im Sinne der Sprach- und Schreibregeln.
Reines Korrektorat ist bei Texten angesagt, denen nur noch der letzte Schliff zur Perfektion fehlt oder bei denen der O-Ton erhalten bleiben muss – aber auch bei Texten, die aus Rechts-, Höflichkeits-, Dienst- oder Strategiegründen irgendwo korrekt herumstehen, aber niemandem gefallen müssen.
Lektorat hat kein klares Ziel. Es muss den Text nicht nur berichtigen, sondern verbessern – aber Qualität, die über reine Regelkonformität hinausgeht, lässt sich nur an individuellen Zielen definieren und messen. Die professionelle Verbesserung kostet außerdem Geld, daher müssen Autor und Lektor vorher besprechen, was sie bringen soll.
Was will der Autor, was soll der Text?
Autoren wollen Geschichten erzählen, Leser berühren, zur Literaturwelt gehören oder auf dem Buchmarkt einschlagen. Sie wollen unterhalten, Wissen verbreiten, Bedarf erwecken, etwas verkaufen oder den Shareholder-Value erhöhen. Oft wollen sie ganz viel auf einmal, aber irgendwas hat immer Vorrang – entweder der Schreiber oder der Leser oder das Thema oder das Geld.
Außerdem sind alle Autoren, vor allem die literarisch motivierten, eitel. Sie hören nicht gern, ihr Text sei langweilig, stressig oder auf andere Weise dem gewünschten Leserkreis nicht zugewandt bzw. dem Zweck nicht dienlich. Da wird lieber prophylaktisch der Zweck geleugnet, sich vom Leser distanziert oder die Schuld auf die Zeiten geschoben – alles Kandidaten, die diese Schuld mit derselben Gelassenheit tragen, mit der sie schon den Text nicht mochten.
Es macht allerdings den wenigsten Autoren etwas aus, sich sagen zu lassen, sie hätten es wohl nicht so mit den Kommaregeln, den Gänsefüßchen oder der Zusammenschreibung.
Der Korrektor hält sich an die Regeln
Korrektorat ist eine Dienstleistung, auf deren korrekte Durchführung der Kunde vertrauen muss. Er setzt auf die Kompetenz und Sorgfalt des Korrektors, sonst müsste er sich mit einem zentnerschweren Regelwerk in den Wald setzen oder stundenlang seinen Text beharken, um alle Schludereien selbst zu finden. Das kann er nicht, das will er nicht, dafür hat er keine Zeit. Also lässt er den Text für Geld von einem Profi korrigieren und darf davon ausgehen, ihn fehlerfrei zurückzubekommen.
Ob er das wirklich ist, kann er nachher allerdings ebenso wenig beurteilen wie vorher. Das wird sich erst zeigen, wenn der Text auf dem Markt ist und auf Leser trifft, denen die Fehler nicht nur auffallen, sondern auch eine Rückmeldung wert sind.
Das Ergebnis guter Korrekturarbeit ist das unsichtbare und nachhaltige Fehlen von Fehlern, für deren Großteil es keinen angeborenen Erkennungssinn gibt. Weil das so ist, bekommen auch schlechte Korrektoren Lob von ihren Abnehmern – Lob auf Kredit, also auf Glaubensbasis. Was zählt, ist aber nur das dauerhafte Ausbleiben von Beschwerden. Gut ist ein Korrektor, der Texte zurückgibt, in denen auch Jahre später niemand einen Regelfehler entdecken kann – es sei denn, die Rechtschreibung wäre inzwischen noch einmal reformiert worden.
Der Lektor holt das Beste aus dem Text
Jeder Autor, auch ein Legastheniker oder einer, der bisher nur für die Schublade schrieb, kann gute Lektorenarbeit erkennen und nachvollziehen. Er merkt, dass sein Text besser, stärker und schöner wird, und freut sich, denn den Mehrwert hat der Lektor nicht hinzugefügt, sondern herausgeholt. Nach der Überarbeitung kann der Text seine Charaktere, Bilder, Botschaften etc. so tragen und transportieren wie gewünscht – nämlich attraktiv, damit er gelesen wird, und sicher, damit nichts verlorengeht.
Es gibt Menschen, die sagen, beim Korrektorat ginge es um das Handwerk des Schreibens und beim Lektorat um die Kunst. Über die Trennung von Schreibkunst und Schreibhandwerk gibt es ja ohnehin viele Gerüchte und Legenden. In der Praxis ist sie keinen zweiten Gedanken wert – es sei denn, das Geschriebene müsste keinerlei Funktion erfüllen, keine Zielgruppe erreichen als die Wahrnehmung seines Schöpfers und nicht länger als eine Sekunde halten.
Als Kritiker oder Lehrer kann ich von einem Text oder einem Autor enttäuscht sein, als Lektor nicht. Gutes Lektorat tut immer dem Text gut und nie dem Autor weh. So bringt diese Arbeit den Autor seinem Text näher und den Text seinen Lesern.
Ein Lektor muss auf viele Arten lesen und jede Zielgruppe vertreten können. Er muss nicht selbst Autor sein, aber er darf kein verhinderter Autor sein. Sonst kommt ihm die Eitelkeit bei der Arbeit in die Quere, und dann reagiert er mit Neid auf Talent und auf Fleiß mit Häme. Das ist nicht konstruktiv.
Haben Sie den richtigen Lektor?
Wenn Sie sich unverstanden oder Ihren Texten entfremdet fühlen, haben Sie den falschen Lektor. Wenn Sie glauben, für die Dienste Ihres Lektors zu viel zu bezahlen, haben Sie auch den falschen Lektor.
Wenn Sie mit Ihrem Lektor über Qualität diskutieren müssen und ihn dabei überzeugen können, statt von ihm überzeugt zu werden, haben Sie entweder den falschen Lektor oder brauchen gar keinen.
Dann wäre es allerdings höchste Zeit, das Geld stattdessen für den Weltfrieden oder sexy Dessous auszugeben.