Das Drama mit dem abstrakten Inneren und der wundersamen Lokomotive
Manchmal setzte ich mich in ein sogenanntes Künstlercafé. Dort war es immer angenehm ruhig. Das gebremst-animierte Gemurmel der Stammgäste erzeugte eine Atmosphäre wohliger Unerheblichkeit, in der ich stundenlang Bücher las und bitteren Kaffee trank, ohne mit jemandem zu sprechen.
Die Bilder an den Wänden wechselten etwa alle zwei Wochen. Es waren Werke regionaler Künstler, meist abstrakt und stets verkäuflich, versehen mit kleinen Schildchen, auf denen Namen und Preise standen.
Einmal war ich sogar an einem Bildwechseltag da. Während man die neuen Bilder aufhängte, versuchten sich zwei Musiker an einem Stück Bossa Nova. Häppchen wurden gereicht.
Ein Mann sprach mich an:
„Gehst du zum Lesen in eine Vernissage?“
So lernte ich Leo kennen. Leo war der Künstler dieser beiden Wochen, ein umgänglicher, unaufregender Mensch. Mit Bleistift und Kohle konnte er phantastisch zeichnen, beeindruckend, dazu noch blitzschnell, in wenigen Minuten schmiss er Portraits, Karikaturen, Gegenstände aufs Papier, die lebendig und echt aussahen. Ich begriff nicht, warum er diese abstrakten Bilder malte.
„In den Bildern ist mein Inneres“, erklärte er mir. „Die Zeichnungen sind nur Fingerübung.“
Ich besah mir die Bilder. Sündteure Farben auf edelster Leinwand.
„Das sagt mir nichts.“
Leo war mir nicht böse. Er schenkte mir eine seiner Zeichnungen, einen Schraubenschlüssel mit Männeraugen und Frauenhänden, der die Frankfurter Zeitung las.
Im Gegensatz zu meinen Freunden besaß Leo ein Auto, einen alten schmutzgrünen Passat. Damit half er mir beim Umzug. Zum Dank kochte ich ihm auf meiner Kochplatte ein mehrgängiges Menü, das er klaglos verzehrte.
Ein paarmal trafen wir uns noch. Gingen ins Kino. Fuhren spazieren. Es war immer ganz gemütlich.
Dann meldete ich mich nicht mehr, rief nicht mehr zurück. Leo nahm es hin und war Geschichte.
Monate später rief er an und überraschte mich mit einer Einladung zu seinem dreißigsten Geburtstag.
„Hast du schon gehört, daß das für Männer ein wichtiges Datum ist?“
Ich konnte es mir vage vorstellen.
Außer mir hatte er seinen besten Freund eingeladen. Erklärte, es sei sein Wunsch, mit uns beiden in seinen Geburtstag hineinzufeiern. Ganz gemütlich in seiner Küche.
„Wann wäre denn das?“
„Heute abend.“
„Es ist doch schon halb elf!“
„Ja, du müßtest ziemlich sofort losfahren.“
Das gefiel mir.
Ich war noch nie in Leos Wohnung gewesen. Seine Küche war ein karierter Schlauch. Bis knapp unters Deckenfries hochglanzgefliest im Schachbrettmuster. Sieben Meter lang, dreieinhalb hoch und anderthalb breit, die ersten fünf Meter einspurig wegen der Weißgeräte. Am hinteren Ende ein Fensterchen, darunter der winzige Küchentisch und drei spinnenbeinige, feuerrote Designklappstühle.
Auf einem davon saß ein massiger Mensch mit rotschwarzkariertem Holzfällerhemd, Vollbart und Cordhose. Als ich eintrat, deutete er durch ein kompliziertes Manöver aus Füßescharren, Schulternstraffen, Kopfneigen und Schnaufen ein Aufstehen nebst Verbeugung und Wiederhinsetzen an. Das dünnrohrige Stühlchen quäkte im Gelenk.
„Das ist Rainer“, sagte Leo.
Ich gab Rainer die Hand, setzte mich und bekam ein Bier. Rainer und ich stießen an, Leo hatte Kaffee, uns blieb noch eine Stunde bis Mitternacht. Wir saßen schweigend, verlegen. Worüber hatten die beiden wohl gesprochen, bevor ich gekommen war?
Ich betrachtete Rainer. Rainer war dick und schmuddelig. Schwarze Haare wuchsen auf seinen Handrücken. Mit der großporigen Knollennase, dem Bart und den roten Wichtelwangen wirkte er wie ein Waldschrat. Aber aus seinem Waldschratgesicht blinkte mir heller Verstand entgegen.
Wir lächelten uns an. Begannen zu reden.
Rainer war klug und witzig. Er war brillant. Er war genau, was ich brauchte.
Innerhalb von Minuten hatten wir uns völlig verstrickt. Es fühlte sich an, als seien wir Verschwörer und säßen gemeinsam auf einem Berg heimlicher Schätze.
Als Leo plötzlich aufstand, fuhren wir beide zusammen.
„Laßt euch nicht stören“, sagte Leo und lächelte dünn. Dann zwängte er sich an uns vorbei und durch den Schlauch, verschwand in der dunklen Wohnung.
Noch während wir ihm nachblickten, nahmen wir den Faden wieder auf.
Als Leo kurz darauf zurückkam, schleppte er eine Staffelei mit, ein ziemlich sperriges Ding. Er baute sie schräg vor dem Tisch auf, so daß sie den Schlauch fast komplett blockierte. Dann quetschte er sich noch einmal und noch einmal durch die Küche, brachte einen mit frischer Leinwand bespannten Rahmen, mehrere Farbeimer, Tuben, Spachtel und Pinsel. Wortlos sahen wir zu.
Als Leo die Eimer öffnete, rückten wir unsere Stühle so, daß wir die Leinwand gut sehen konnten.
Leo tauchte einen dicken Pinsel in den Eimer mit roter Farbe und klatschte ihn auf die Leinwand. Ein blutroter Fleck, an dessen Rändern die Farbe herablief!
„Da hat es jemanden zerrissen“, kommentierte Rainer trocken.
Leo legte den Pinsel über den Eimer, nahm einen anderen und malte grüne Schlieren unter den Blutfleck.
„In seinem eigenen Garten!“, sagte ich.
Leo strichelte an den Blutspuren und dem Grünzeug herum.
„Der König wurde ermordet! Im Palastgarten!“
„Aber warum?“
„Er war böse! Ein böser König! Guck, wie sie ihn zugerichtet haben! Das Gehirn tropft ihm aus dem Kopf!“
„Wer hat ihn denn so zugerichtet?“
„Bestimmt der Kronprinz!“
„Pfui, das ist billig. Kommt gar nicht in Frage. Wer hatte sonst noch ein Motiv?“
Leo ließ dunkelbraune Farbe über die Leinwand heruntersuppen. Gespannt sahen wir zu.
„Für Tyrannenmord hat doch fast jeder ein Motiv. Wer ist schon glücklich im Reich eines bösen Königs?“
„Aber meistens beschwert sich keiner …“
„Was ist geschehen?“
Niemand war glücklich im Reich des Bösen Königs. Trotzdem beschwerte sich keiner.
Das Volk war ungebildet, gottesfürchtig und von der Arbeit erschöpft. Die Priester waren arm und fromm, die Götter duldsam, und der Hofstaat mußte lächeln, immer lächeln, sonst zischte die Peitsche oder rollte der Kopf.
Die einzigen, die genug Zeit und Platz für ihr Unglück hatten, waren die junge Königin, der Tierbändiger, die alte Kräuterfrau und der königliche Astronom.
Die Kräuterfrau war gebeugt und wirr und hatte kleine, flinke, rotgeäderte Äuglein, ferner konnte sie auf eine besondere Art murmeln und dabei ihre Finger knacken lassen. Der König ließ sie meistens in Ruhe, denn er war abergläubisch und hatte eine eiserne Gesundheit.
Der königliche Astronom war gleichzeitig Erfinder, Forscher und Schreiber und lebte im Ostturm. Sein Hauptunglück bestand darin, daß seine Arbeit nicht gewürdigt wurde und er stets zu wenig Material für seine Aufzeichnungen, Geräte und Versuche bekam. Der König hielt ihn kurz, weil er Forschung und Schrift für Unsinn hielt, und hatte dem Schmied Weisung gegeben, bei Reparaturaufträgen aus dem Ostturm das billigste Eisen zu verwenden.
Jedesmal, wenn der Astronom zur Audienz erschien, in der Hand eine zerbrochene Linse, eine verbogene Pinzette oder eine leere Lötzinnrolle, erwog der König, ihn enthaupten zu lassen. Trotzdem blieb der Astronom am Leben, denn er konnte überaus wirksame Explosivgeschosse herstellen, die sich schon in zwei Kriegen bewährt hatten.
Der Tierbändiger stand beim König hoch in Gunst, weil er zauberkräftig war. Er pflegte und fütterte die wilden Tiere, die im Garten lebten, zähmte sie mit seiner Stimme, so daß sie ohne Strick und Kette blieben, und lehrte sie Kunststücke.
Die wilden Tiere waren des Königs ganzer Stolz. Am meisten mochte er den Bären.
Die junge Königin hatte das schwerste Los, denn sie hatte gar nichts zu tun und gar nichts zu sagen. Morgens wurde sie geschminkt und geschmückt, dann ging sie im Palast umher. Sie durfte mit niemandem reden außer ihrer Zofe, die dem König treu ergeben war, und mußte immer alleine essen. Nachts fiel der Böse König über sie her, grunzte und bockte und hinterließ Übelgeruch und Klebsäfte auf ihrer zarten Haut. Daß sie trotzdem nicht schwanger wurde, verdankte sie der alten Kräuterfrau, die ihre heimliche Verbündete war.
Manchmal, wenn der Böse König nicht schlafen konnte, ließ er mitten in der Nacht den Tierbändiger mit dem Bären ins königliche Schlafgemach rufen. Dann tanzten der Bär und der Tierbändiger schlaftrunken Tango, warfen sich Bälle zu und rangen auf dem Bettvorleger, während der Böse König lachend auf seine Schenkel patschte und die junge Königin blass und traurig danebensaß. Und dabei ergab es sich, daß die junge Königin und der Tierbändiger einander ansahen.
Nun ging die junge Königin oft in den Garten, wenn die Zofe ihren Mittagsschlaf hielt und der König Recht sprach oder Hinrichtungen beiwohnte. In den Armen des Tierbändigers lernte sie die Wonnen der Liebe kennen und weinte ihren Kummer in sein Hemd, das nach Wildnis und Sonne roch.
Bald wurde der Böse König mißtrauisch, denn die Königin wollte sich nachts nicht mehr fügen, drehte den Kopf weg und verlangte eine eigene Waschschüssel.
Als der König einmal zeitig von einer Hinrichtung zurückkam und seine Frau nicht im Palast vorfand, suchte er sie im Garten und sah sie mit dem Tierbändiger im Gras liegen. Der Bär schlief zu ihren Füßen.
Voll Zorn schrie der König auf, zog sein Schwert und wollte sich auf die Liebenden stürzen. Da erhob sich der Bär ohne besondere Hast, richtete sich auf und zerfleischte den König mit wenigen Tatzenhieben.
Die Leinwand war voll. Auch der Boden hatte Flecken. Es sah wüst aus. Ein buntes Drama.
Leo stand zwischen uns und der Staffelei und betrachtete das Bild. Wir reckten die Hälse, um an Leos Rücken vorbeisehen zu können. Eine Kunstpause trat ein. Der Abfluß gluckste.
„Wie werden sie sich da wieder rausreden?“ fragte Rainer schließlich.
Leo fuhr herum und starrte ihn an.
„Sie müssen fliehen“, schlug ich vor. „Und zwar sofort, denn das Geschrei im Garten hat mit Sicherheit bereits die Palastwache auf den Plan gerufen …“
„Herrje, du hast recht, das kann man nicht mehr vertuschen!“
„Die kommen schon durch das Gartentor gescheppert …“
„Hinter dem Garten fängt die Wüste an …“
„Die Königin ist nackt!“
„Der Tierbändiger auch!“
„Und da steht der Bär und wühlt in den Eingeweiden des Königs …“
Leo hatte sich wieder dem Bild zugewandt und einen Spachtel gegriffen. Auf den drückte er jetzt dicke weiße Farbe aus einer Tube und begann das Bild zuzuspachteln.
Rainer und ich dachten nach.
„Es muß ganz schnell etwas passieren!“
„Können die Tiere die Palastwache nicht aufhalten, bis die Helden wenigstens wieder angezogen sind?“
„Ein Gambit für die Garderobe? Nein …“
“Nein. Ein Opfer ist genug.“
„Ja …“
Als die ersten Soldaten sie fast erreicht hatten, begann der Tierbändiger mit leiser Stimme zu singen. Das Lied, das er sang, war so sanft und begütigend, daß die grimmigen Soldaten die Waffen sinken ließen und lächelnd vor sich hinsahen.
Immer weitersingend, schlüpfte der Tierbändiger zwischen ihnen hindurch und zog die junge Königin hinter sich her durch das Gartentor.
Sie überquerten den Innenhof und rannten zum Ostturm, schlugen an die Pforte und lärmten. Als der königliche Astronom ihnen endlich öffnete, hörten sie aus dem Garten das Wutgeschrei der Soldaten: Der Zauber war verflogen.
Der königliche Astronom hatte mit sich selbst Scrabble gespielt und von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen. Zuerst war er ganz erschrocken über den Anblick der nackten Königin, als er aber vom Tod des Königs erfuhr, versprach er, den Liebenden zu helfen. Er verkeilte die Pforte und führte die Königin und den Tierbändiger in sein Labor im obersten Stockwerk. Von dort kletterten sie durch eine Luke aufs Dach, wo der Astronom ein von ihm eigens zu Fluchtzwecken heimlich konstruiertes, aber nie erprobtes Propellergerät geparkt hatte.
Nach den Anweisungen des Astronomen schnallten sich die Liebenden an den Metallrahmen. Der Astronom startete den Propeller und gab dem Gerät einen Schubs. Wehmütig sah er zu, wie es mit seiner Last davontrudelte.
Drei Stunden lang flogen die Königin und der Tierbändiger über die Wüste. Dann begann das Propellergerät zu ermüden, da es aus minderwertigem Eisen gefertigt war. Es sank immer tiefer und flog immer langsamer. Schließlich zerbrach es, und die Liebenden fielen in den Sand.
Obwohl sie weich fielen und sich nicht verletzten, wären sie sicherlich in der Nacht erfroren. Doch unweit ihrer Absturzstelle hatte der Eisenbahnbautrupp, der seit Jahren Schienen durch die Wüste legte und alle dreißig Kilometer feierlich die Lokomotive nachholte, sein Nachtlager aufgeschlagen.
Der Eisenbahnbautrupp unterstand keiner Regierung und scherte sich nicht um Politik. Eine alte Prophezeiung trieb die Arbeiter an: Nach zwölf mal dreißig Kilometern werde die Lokomotive selbst eine Stadt erschaffen, in die zu fahren sich lohne.
Der Tierbändiger und die Königin wurden freudig aufgenommen als zwei junge, arbeitsfähige Menschen, die das Schicksal direkt neben der Baustelle vom Himmel geworfen hatte, und zwar fünf Kilometer vor dem Ende der Mission. Einen knappen Kilometer hinter diesem Horizont, erfuhren die Liebenden abends am Lagerfeuer, werde die Stadt auftauchen, sich langsam aus dem weißen Sand erheben, mit schillernden Türmen, aus Musik und Licht erbaut, und einem Bahnhof, wie die Welt noch keinen gesehen hat.
Die junge Königin und der Tierbändiger saßen in eine Decke gewickelt und sahen in die Wüstennacht hinaus. Der Horizont erwartete sie mit ausgebreiteten Armen. Sie waren keine Sklaven und keine Flüchtlinge mehr. Sie waren Pioniere.
Wir saßen andächtig vor der Leinwand und sahen in das Weiß hinein. Die gesamte Bildfläche war weiß. Dick zugespachtelt. An manchen Stellen drangen Spuren der darunterliegenden Farben durch. Dort wuchs die Zukunft aus dem Sand.
Mein Kopf war ganz leicht. Ich fühlte mich großartig.
Leo war fort.
„Wo ist denn Leo?“
„Keine Ahnung, wann ist der denn überhaupt verschwunden?“
„Und warum?“
Dann, plötzlich, fiel die Schande tonnenschwer herab. Es war halb zwei. Und warum hatte Leo mich wohl eingeladen? Was hatte er mir sagen wollen? Hatte er überhaupt etwas gesagt, seit wir hier saßen? Ich konnte mich nicht erinnern. Rainer war sein bester Freund. Da saß er, wieder in das Bild versunken, aber nicht in Leos Bild.
Ich schob mich durch die Küche und tastete mich durch die Wohnung. Fand Leos Schlafzimmer, die Straßenlaterne schien herein. Da war die Leiter zu einem Hochbett, ich kletterte hinauf und spähte in das dunkle Bettgewühl.
„Leo? Bist du da?“
Es raschelte. Leos Kopf tauchte aus den Kissen auf. Sein Gesicht sah schutzlos aus. Naßgeweint und voll banger Erwartung. Ich erkannte, daß ich ihn in mehr als einer Hinsicht verletzt hatte, und schämte mich in Grund und Boden. Trotzdem ließ mich die Geschichte aus der Küche nicht los, die zurückgelassene, ihren Schluß erwartende. Unentwegt flackerte sie in meinem Kopf herum.
Parallel dazu hirnte ich verzweifelt nach den richtigen Worten, nach der Geste, die alles wieder gutmachen würde.
Ich streckte die Hand aus, um Leo zu berühren, da sah ich plötzlich ganz deutlich die Lokomotive vor mir, die wundertätige Lokomotive! Alle dreißig Kilometer wird sie feierlich nachgeholt, Wahnsinn, bekommt da jeder ein Billett, ein Blümchen und drei Tage Urlaub, oder wie soll das überhaupt funktionieren?
Plötzlich hörte ich ein Glucksen. Herrje, das war ja ich! Ich biß die Zähne zusammen, hob die Hand vor den Mund, aber es war zu spät. Ein Lachen kam aus mir heraus, nicht laut, aber deutlich, ich schwöre, ich wollte nicht lachen, ich wußte, daß die Situation nicht zum Lachen war, das Lachen hatte ja gar nichts damit zu tun, aber ich hatte es bereits vermasselt, völlig vermasselt.
Leo sah mich an.
Ich spiegelte mich in seinem Gesicht und wußte, daß ich unentschuldbar war. Ich konnte nur noch gehen.
Erstaunt sah Rainer zu, wie ich meine Sachen einsammelte.
„Was denn, du gehst? Was ist denn passiert?“
Ich wollte nicht antworten. Als ich hinausging, rief er mir noch hinterher:
„Aber wie geht jetzt die Geschichte aus?“
Zuerst mußte ich rennen, um die Peitschenhiebe meines Gewissens zu ertragen. Dann, in der Bahnhofsunterführung, wurde ich kühler und überlegte mir, wie Jesus am Jüngsten Tag die angemessene Strafe für meine Sünde finden und ich sie demütig annehmen würde.
Für diesen verantwortungslosen Gedanken schämte ich mich wieder mehr und rannte die Rolltreppen hinauf.
Als ich den Bahnhof erreicht hatte und mir die Lokomotive wieder einfiel, begriff ich, daß ich weder Rainer jemals wiedersehen noch das Ende der Geschichte erfahren würde. Und das, so empfand ich, war Strafe genug.