Der zweifelnde Gärtner
Da war ein Gärtner, der hatte einen wunderschönen Garten.
Von weit her kamen die Leute gereist, um seinen Garten zu bewundern. Seltene Blumen und andere Gewächse wuchsen dort, im Teich schwammen Fische aus aller Welt. Besonders im Frühling war es ein reines Vergnügen, durch den Garten zu lustwandeln, die Farben der Blüten zu genießen, ihren Duft zu riechen und die Stille, die nie ganz leise war, zu hören.
„Dieser Garten ist doch verzaubert“, sagten die Leute, denn so einen schönen Garten hatte keiner von ihnen jemals zuvor gesehen.
Und so unrecht hatten sie nicht damit, nur, der Garten war nicht wirklich verzaubert, vielmehr war der Gärtner jeden Tag aufs neue dabei, den Garten zu pflegen, Unkraut zu zupfen, Algen aus dem Teich zu entfernen und Hecken zu stutzen. Es gab viel Arbeit, aber der Gärtner erledigte sie gerne, war er doch von ganzem Herzen dabei.
Er liebte diesen Garten, als wäre er ein Teil von ihm, und oft stand er abends unter seinem Lieblingsbaum, trank ein Glas selbstgekelterten Wein und schaute in den Himmel, um das Wetter für den nächsten Tag zu bestimmen.
Nun kam es, daß er eines Tages beim Besuch des Marktes, wo er ein paar Kleinigkeiten zukaufte, die sein Garten nicht hervorbrachte, zufällig Zeuge eines Gespräches zwischen zwei Marktfrauen wurde, die sich über seinen Garten unterhielten.
„Und wenn ich es Euch doch sage, dieser Garten ist verzaubert, das habe ich mit eigenen Augen gesehen“, sagte die eine Marktfrau, die am Kartoffelstand ihre Ware feilbot. „So große Kartoffeln, wie dieser Gärtner sie aus der Erde holt, die müssen verzaubert sein.“
Die andere nickte zustimmend, ließ ihre Hand auf einen Haufen Fische fallen, die sie zum Verkauf ausgelegt hatte und antwortete : „Ja, ich habe einmal beobachtet, wie der Gärtner aus seinem Gartenteich einen Fisch gezogen hat, so groß, daß eine ganze Familie daran Tage essen könnte. Schaut meine Fische an, mein Mann versteht sehr wohl etwas vom Fischfang, aber einen solchen Hecht hat er noch nicht mit nach Hause gebracht.“
Der Gärtner hörte diese Worte mit Erstaunen, denn vorher war ihm niemals bewußt geworden, daß die Leute über seinen Garten sprachen, schon gar nicht, daß sie ihn für verzaubert hielten. Verwirrt ging er nach Hause, legte seine Einkäufe auf den Tisch und ging hinaus, um nachzudenken.
„Wenn mein Garten nun wirklich verzaubert ist, wenn nun irgendeine Art von Geist hier wohnt und mir wohlgesonnen ist, daß ich deswegen so viel Freude an ihm habe, was ist denn dann?“
Er wurde ein wenig traurig, denn bislang hatte er geglaubt, sein Garten wäre allein sein Werk. Wenn nun wirklich irgendeine Art von Geist hier wohnen sollte, so wäre es egal, ob er ein guter oder ein schlechter Gärtner wäre, der Garten würde ja des Zaubers wegen so aufblühen und nicht der Mühe und Zeit, die er in ihn einbrachte.
So nagte der Zweifel an ihm und nahm sich Raum und Platz in den Gedanken des Ruhelosen. Immer wieder ging er grüblerisch in den Garten, besah ihn sich bei Sonnenaufgang, als der Morgentau auf den grünen Blättern glitzerte und besah ihn bei Nacht, als das Mondlich sich im Teich spiegelte. Doch er fand nicht im Tau, nicht im Mondschimmer Antworten auf seine Zweifel.
Er beschloß, nachdem er drei Tage grübelnd im Garten auf und ab gegangen war, der Sache auf den Grund zu gehen.
Er dachte sich, wenn wirklich ein Geist oder Zauber in diesem Garten wäre, dann müßte dieser zu finden sein, dann würde er ihn finden!
Er ging in den Keller, holte seine größte Schaufel, dazu Eimer und eine Schubkarre und machte sich daran, voller Tatendrang seinen Garten umzugraben.
„Irgendwo hier in der Erde muß ich doch finden, wonach ich suche“, dachte er bei sich und grub zuerst die Blumenbeete um. Die Rosen und Narzissen, die darin wuchsen, verschwanden unter der aufgeworfenen Erde. „Wenn ich erst den Zauber gefunden habe, dann werden mir größere, duftendere Rosen wachsen.“ Aber er fand keinen Geist.
Dann pflügte er seine Kohlfelder unter, den Spargel und die Erdbeeren, doch auch hier wurde er nicht fündig. „Ich muß noch tiefer graben“, dachte sich der Gärtner, „dann finde ich vielleicht, wonach ich suche, dann finde ich den Geist und kann ihn sicher für mich gewinnen.“ Und so grub er tiefer und tiefer. Und fand doch nicht das, wonach er suchte.
Manchen, die in der Nähe des Gartens wohnten und deswegen öfter einen Blick hineinwerfen konnten, fiel auf, daß nicht nur der Garten sein Antlitz veränderte, auch der Gärtner selbst wurde ein anderer.
Seine Augen wurden langsam hohl und gingen nach innen, seine Bewegungen wurden fahrig und unbestimmt, sein Rücken krummer.
Aber dem Gärtner fielen diese Veränderungen nicht auf, er bemerkte kaum, daß sein ehemaliger Garten nicht mehr schön und strahlend war wie früher.
Auch verbrachte er seine Stunden nicht länger damit, die Sträucher zu schneiden, denn die waren schon längst untergegraben, er zupfte auch kein Unkraut mehr, denn es gab keines, das hätte ausgerissen werden müssen. Sein ganzer Garten war zu einem einzigen Acker verkommen, nur noch Erde war zu sehen, kein Grün, kein Blau, kein Gelb, nur noch erdiges Braun.
Der Gärtner gab noch nicht auf.
„Wenn ich den Geist nicht im Garten gefunden habe, vielleicht sitzt er ja im Teich, vielleicht ist es ja ein Wassergeist, der meinen Garten verzaubert. Ich will nun den Teich trocken legen und nachsehen, was sich auf seinem Grund vor mir verbirgt.“
Er legte den Teich trocken, trug Eimer um Eimer aus dem Gewässer und schüttete es achtlos auf die frisch umgegrabene Erde. Die Fische im Wasser erstickten neben den Seerosen auf dem Grund des Teiches, aber von einem Geist fand er nichts. Nicht ein Zeichen.
Der Gärtner verzweifelte. Nachdem er so seinen gesamten Garten und seinen Teich vernichtet hatte, setzte er sich traurig und müde auf seine Terrasse, die nun keinen schönen Ausblick mehr bieten wollte, weinte leise in sich hinein und wußte nicht weiter. Alles hatte er zerstört, alles, was ihm von Bedeutung gewesen war, und nichts würde wiederkommen. Denn er hatte ja den Zauber immer noch nicht finden können. Er wußte keinen Ausweg.
Da geschah es, daß zu diesen Tagen ein wandernder Geselle durch das Land zog, der hier und dort um Kost und Logis bat und sich dafür in den Dienst stellen ließ, wofür er gerade benötigt wurde. Dieser Wandergeselle kam nun auch zu diesem Garten, von dem er schon aus so vielen Geschichten gehört hatte, wie groß und prächtig er sein sollte, und er hatte sich fest vorgenommen, dem Besitzer dieses Gartens seine Aufwartung zu machen, denn von ihm wollte er alles lernen, damit auch er einen so schönen Garten anlegen konnte, um den ihn die Leute beneiden sollten.
Doch wie groß war seine Enttäuschung, als er den beschriebenen Weg einschlug und nichts vorfand außer einen umgepflügten Acker, einen ausgetrockneten Teich und einen alten, gebrochenen Mann.
„Guter Herr“, so sprach er den Gärtner an, „wisset Ihr vielleicht, wo ich diesen prächtigen Garten finden kann, von dem ich schon so viel gehört habe, der in allen Farben strahlt und die prallsten und größten Früchte aus der Erde hervorbringt?“
Der Gärtner hob langsam den Kopf, schüttelte ihn und sagte dann mit müde Stimme: „Den Garten habt Ihr wohl gefunden, aber er strahlt nicht mehr so, wie er einst erstrahlte. Ich suchte den Zauber hinter all dieser Pracht, doch nichts habe ich gefunden, nur alles verloren. Und so lasset mich alleine.“
Der Wandergeselle hörte diese Worte und ging nicht, denn er war weit gereist und nicht bereit wieder umzukehren.
„Erzählt mir bitte, was suchtet Ihr und wurdet doch nicht fündig?“
Der Gärtner hob noch einmal müde den Kopf und sprach langsam:
„Ich suchte den Grund für die Fülle dieses Gartens, für die Pracht und Fülle, dafür, warum die Erdbeeren bei mir so viel roter und saftiger waren als bei anderen. Warum der Walnußbaum, den ich letztens fällte, so viel mehr an Ernte mir schenkte als meinen Nachbarn, die auch einen solchen Baum im Garten stehen haben. Ich suchte nach dem Grund, warum in meinem Teich die Fische viel größer und lebendiger waren, als in anderen Gewässern, daß selbst die Frau des Fischers voller Neid und Unglauben davon erzählte.
Ich suchte den Grund, aber ich konnte ihn nicht finden, seht euch an, was ich nun angerichtet habe. Ich habe alles, was ich besaß, verloren und gefunden habe ich nichts, außer Verzweiflung und Mutlosigkeit.“
Der Wandergeselle hörte sich die Geschichte sehr genau an und überlegte lange, nachdem der Gärtner geendet hatte. Er holte tief Luft. „Ich sehe, warum Ihr diesen Garten zerstören mußtet. Ihr glaubtet, daß nur ein Zauber oder ein Geist fähig sei, diese Pracht, diesen Überfluß hervorzubringen, und Euer eigenes Werk daran schätztet Ihr gar so gering, daß Ihr nicht glauben konntet, dazu einen Teil beigetragen zu haben.
Doch hört mir zu, denn ich bin schon weit herumgekommen und viele Geschichten habe ich bisher vernommen, auch wenn keine so seltsam wie die Eure war. Vor vielen Jahren schon hörte ich von einem Mann, dessen Hände wahre Wunder vollbringen könnten, ein Gärtner sollte es sein, und sein Garten wurde mir beschrieben als ein wahres Wunderwerk der Gärtnerkunst. Ja, wie von einem Zauberer, einem Heiligen, wurde mir von diesem Gärtner erzählt.“
Hier machte er eine Pause, suchte nach den richtigen Worten.
„So bin ich also viele Tagesreisen unterwegs, auch um diesen Menschen und sein Werk zu sehen, und nun bin ich bei Euch und finde weder den Zauberer noch sein Werk.“
Hier lachte der Gärtner traurig auf.
Unbeirrt sprach der Geselle weiter: „Ich finde einen Acker, der fruchtbar ist und brach liegt, und ich finde einen Zauberer, der sich seiner nicht bewußt ist und nun seine Macht gegen sich selbst verwendet hat. Eure Magie, Euren Zauber habt Ihr nicht mehr, so wie Ihr es früher tatet, für das Gute eingesetzt.“
Der Gärtner war still geworden und er sann nach über die Worte des Fremden. Er dachte daran, wie er früher seinen Garten umsorgt hatte, ihm fiel der Duft der Blumenbeete wieder ein, die Farben, das klare Wasser in seinem Teich und daß er die Fische gerne betrachtet hatte, und wie sich die Abendsonne auf dem Wasser spiegelte. Er dachte an die Farben des Gartens, an den Duft, den die Blumen verbreiteten, an die Früchte der Bäume, an die Vögel, die sich in seinem Garten eingefunden hatten und ihn mit ihrem Zwitschern belebten.
Und dann weinte er.