Die Effektivitätsmedizin
Ein Maurer bekam Ärger mit seinem Vorgesetzten, weil er bei der Arbeit träumte und dann Fehler machte, nicht rechtzeitig fertigwurde und Dinge vergaß.
„Du arbeitest nicht effektiv“, sagte der Polier. „Manchmal denke ich, es ginge schneller, wenn ich alles selber machen würde.“
Das war ein schwerer Vorwurf. Der Maurer schämte sich und versuchte, sich auf nichts als die Arbeit zu konzentrieren. Aber das gelang ihm immer nur für kurze Zeit; dann kamen wieder Bilder in seinen Kopf, und sie fernzuhalten war eine solche Anstrengung, daß er davon müder wurde als von der Arbeit. Er konnte sich im Schlaf nicht mehr erholen und arbeitete noch schlechter als vorher.
Einmal sah er nachts im Fernsehen einen Werbespot, in dem ein Mittel zur Steigerung der Effektivität angepriesen wurde. Im Dreivierteltakt sang ein Frauenchor ein Lied mit dem Refrain „Du bist doch nicht zum Verlieren gebor’n“, zum Schluß wurden Name und Adresse des Herstellers eingeblendet und der Hinweis: Exklusiv im Direktverkauf. Der Maurer notierte sich die Adresse und fuhr am nächsten Tag nach der Arbeit dorthin.
Die Eingangshalle der Firma war groß wie eine Kirche. Rechts und links von einer riesigen Empfangstheke aus Stein und Metall führten zwei geschwungene Freitreppen zu einer Galerie, die hoch unter der Decke den gesamten Raum umlief. Dort im Halbdunkel tanzten Paare, während unten in der Halle Menschen lärmten und drängelten und sich von einer unordentlichen Warteschlange in die nächste schoben.
Die Dame an der Theke händigte dem Maurer eine Packung Tabletten aus, für die er einen horrenden Preis bezahlte; den Waschzettel las er im Bus.
„Dieses Mittel wurde entwickelt, um die Effektivität zu steigern“, las er. „Etwa eine Stunde nach der Einnahme verspüren Sie die volle Wirkung. Um den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, empfehlen wir, einfache Gedanken zu formen. Nebenwirkungen sind nicht bekannt.“
Am nächsten Tag schluckte er auf dem Weg zur Arbeit eine Tablette. Eine dreiviertel Stunde später kam er auf der Baustelle an, dachte an die Empfehlungen auf dem Beipackzettel und nahm das erstbeste Werkzeug in die Hand.
Sorgfältig formulierte er einen Gedanken: Das ist eine Ziehklinge.
Sofort rauschte die Bilderflut in seinen Kopf, und er stand ruhig mit dem Werkzeug in der Hand, um sie nicht zu behindern.
Er sah einen Raum, in dessen Mitte ein stählernes Bett stand, um das sich Menschen drängten. Auf dem Bett saß eine Frau, die gerade aus einem metallenen Becher trank. Sie reichte den leeren Becher einem der Zuschauer und legte sich bequem hin, kurz darauf schloß sie die Augen. Gleichzeitig hob sich vom Boden ein großer, ungeformter Klumpen Metall und begann zu glühen, die Zuschauer traten zurück und schützten ihre Gesichter vor der Hitze. Plötzlich zerbrach der Klumpen wie in Zeitlupe, und die Bruchstücke formten sich, während sie langsam wieder zu Boden sanken. Die Frau stand auf, nahm eines der Stücke in die Hand und zeigte es herum: es war eine Ziehklinge, und während sie abkühlte, wurden rote und blaue Schattierungen auf der Oberfläche sichtbar.
Da warf die Frau den Kopf zurück und lachte, die Zuschauer umringten, beglückwünschten sie, klopften ihr auf die Schultern; sie wandte ihr Gesicht hierhin und dorthin und lächelte.
Mittendrin stand der Maurer und betrachtete die Farben auf der Metalloberfläche, warm und lebendig lag das Werkzeug in seiner Hand. Dann war es vorbei, er legte die Ziehklinge weg und sah auf die Uhr: Fünf Minuten waren vergangen.
Er hob einen Hammer auf. Das ist ein Hammer, dachte er und stellte sich vor, wie zwei Männer mit großen Hämmern abwechselnd auf einen Pflock schlugen, um ihn in die Erde zu treiben, und beobachtete, wie sich kleine weichgewordene Holzstückchen vom ausgefransten Rand lösten, wo die Hämmer trafen. Dann dachte er an Filme, in denen halbnackte zerlumpte Sträflinge in der Mittagshitze im Steinbruch schufteten, an Steinbrüche, die er kannte, an Fossilien, die man in Steinbrüchen findet; er dachte an Fossilien im Museum, an Höhlenmenschenknochen, Werkzeuge in Schaukästen: Beil aus der Bronzezeit. Hammerkopf aus Stein. Hammerkopf aus Eisen.
Er sah auf die Uhr und dachte: Ich sehe auf die Uhr.
Und da empfand er ein seltsames leises Echo, das sagte: Uhr … Uhr … Uhr, und das machte in seinem Kopf ein schnurrendes Zittern wie der Griff eines Wurfmessers, das in einen Baumstamm fährt und steckenbleibt. Dann war auch das vorbei, und der einfache Gedanke fiel wie ein Klotz auf groben Kies und blieb liegen, ohne sich zu bewegen, ohne sich zu verändern.