PraetoriusCC

  • CCrew
  • CCompetenz
    • Texter beauftragen – so geht das bei PraetoriusCC
    • Wortzahlen-Musterkollektion
      • Textlänge: 50 Wörter
      • Textlänge: 200 Wörter
      • Textlänge: 300 Wörter
      • Textlänge: 400 Wörter
      • Textlänge: 600 Wörter
      • Textlänge: 800 Wörter
      • Textlänge: 1000 Wörter
    • Stil- und Grammatikfallen
    • Typografiefallen
    • Korrektorat und Lektorat – Unterschiede
    • SEO und SEM
    • Webshop und Onlinehandel
    • Werbung und PR
    • Webcontent
  • CConditionen
    • Preise
    • Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
  • CContakt
  • CColumne
    • Celebrationen
    • Cüche und Cultur
    • Corinthen Cacken
    • Conspirationen
    • Cerebralien
    • Catastrophen
  • CCunst
You are here: Start / CCunst / Geschichten / Die Steinigung des Klassentrottels

Die Steinigung des Klassentrottels

In der zehnten Klasse fuhren wir für zwei Wochen nach Südtirol. Unser Landschulheim war eine Pension mit geblümten Vorhängen, ein Familienbetrieb. Küchendienst, Tischtennisturniere, Grillabende, zum Fernsehen ein Gemeinschaftsraum. Vino tinto und Cola-Bier im Dorfcafé. Heimliche Zigaretten, Saufereien und Gefummel in Mehrbettzimmern. Und natürlich Ausflüge.

Ein Dauerbrenner war die Rienzschlucht. Vier Mal waren wir aufgebrochen, um sie zu besichtigen, vier Mal hatten wir uns verirrt. Beim fünften Versuch hatte unsere Wanderleidenschaft schon stark nachgelassen. Trotzdem schaffte es unsere nette Deutschlehrerin, uns noch einmal zu motivieren, mit Hilfe einer neuen, todsicheren Wanderkarte und bei strahlendem Wetter.
Zwei Stunden liefen wir durch den Sommerwald und fanden tatsächlich diese Schlucht. Wunderschön war es da. Wir setzten uns hin und packten unsere Brote aus; nur die Lehrerin las, weil sie Diät hielt, und der Klassentrottel sammelte Steine.

Unser Klassentrottel war nicht wirklich ein Trottel. Er war sogar begabt, allerdings in Mathematik, was nicht schick war und seinem Ruf nur schadete. Chef sind ja meistens die, die schlecht in Verhalten und gut in Sport sind.
Ich war in Verhalten und in Sport schlecht; zwar Klassensprecher mit gewisser Autorität, weil Großmaul, aber Außenseiter. Andere Außenseiter interessierten mich, aber für unseren Klassentrottel hatte ich keine Schwäche. Sein Mund stand stets ein wenig offen, er neigte zu fettigem Haar und trug Klamotten von der Sorte, die Mütter aussuchen. Wenn er sprach, stotterte er leicht und schaute an einem vorbei. Was er redete, interessierte niemanden. Ihm zuzuhören war so anstrengend, daß selbst die Lehrer ungeduldig wurden, dabei meldete er sich fast nie.

Hunger hatte er beim Picknick in der Schlucht nur deshalb nicht, weil er vor dem Aufbruch noch schnell unsere gesamten Frühstücksreste verschlungen hatte. Nach jeder Mahlzeit schielte er nach unseren Resten wie ein Hund. Es war abartig, wie viel und mit welcher Gier er aß, uns schauderte jedesmal. Anfangs hatten wir ihn deswegen geneckt, inzwischen machten wir bissige Bemerkungen.
Er lachte nur dazu. Nicht spöttisch oder wegwerfend. Keineswegs. Ihm war einfach nicht klar, wie anstößig wir diese Restefresserei fanden. Eigentlich war ihm nie klar, was sich alles zwischen uns abspielte.

Jetzt stand er im seichten Wasser der Rienz und sammelte Steine wie schon auf den Wanderungen davor. Kannte er sich mit Mineralien aus? Hatte er einen Blick für besondere, für schöne Steine? Nein, auch das nicht.
Ich hatte sie mir einmal zeigen lassen, in dem Versuch, meinen Widerwillen zu ignorieren und mich als großmütiger, freundlicher Mensch hervorzutun: ein Fehlschlag. Er war nicht in der Lage gewesen, mir zu erklären, warum er gerade diesen oder jenen Stein aufgehoben hatte, auch schien ihn meine Aufmerksamkeit weder zu beeindrucken noch zu erfreuen. Kein interessantes Geheimnis war ans Licht gekommen. Ich hatte mich gelangweilt und später den Spott der anderen dafür hingenommen.

Nach dem Essen lagen wir also auf den goldenen Blättern herum und beobachteten, wie er graue Kiesel aus dem Fluß zog und einsteckte. Wir waren satt und schläfrig, deshalb dauerte es einige Zeit, bis sich einer zu einem Ruf aufraffen konnte.
„Immer noch kein Gold gefunden?“
Der Klassentrottel grinste und fischte weiter im Wasser herum.
„Guck mal, hier ist ein ganz toller!“
Ein Stein flog und klatschte neben dem Klassentrottel ins Wasser. Er sah zu uns herüber.
Noch ein Stein flog. Gelächter. Ein paar Jungen sprangen auf, suchten Steine und warfen sie in den Fluß.
„Hier, guck mal den an!“
„Und den da!“
„Jetzt kommt ein dicker!“
Es spritzte. Der Klassentrottel wurde naß, hüpfte herum, lachte zuerst mit und sah dann fassungslos zu, wie immer mehr Steine immer näher um ihn herum einschlugen.

Ich hatte mich aufgerichtet und die Augen aufgerissen. Die Luft war elektrisch geworden, schrie und schwirrte, die Ruhe war dahin, fast alle riefen, lachten, sprangen durcheinander. Wie ein Rausch fuhr es mir in den Magen. Die Spannung schnürte mir die Kehle zusammen, wollte mich hochreißen, aber ich blieb sitzen. Ich sprang nicht auf, rief kein Halt und schrie kein Nein. Ich starrte nur. Ganz hinten in meinem Kopf, sozusagen in der fünfundzwanzigsten Reihe, fuchtelte mein Verstand mit dünnen Ärmchen und piepste, daß Gefahr sei, daß Ungeheuerliches geschehe. Meine Klassenkameraden hatten sich in eine Himmelsmacht verwandelt, in eine Höllenmaschine, aber ohne mich. Mich hatten sie zurückgelassen.

Ein Stein traf den Klassentrottel am Kopf, und er fiel um. Jetzt starrten alle. Und zwar lange. Keiner rührte sich.
Nach einer halben Ewigkeit stand unsere nette Deutschlehrerin auf, legte ihr Buch weg und ging zum Fluß, wo sie dem blutenden Klassentrottel auf die Beine half und seine Wunde begutachtete: Nicht so schlimm! Tu bißchen Wasser dran! Siehst du, geht schon wieder!
Ein tadelnder Blick streifte uns alle, verweilte auf keinem. Zeit für den Heimweg. Verträumt hielt sich der Klassentrottel ein nasses Taschentuch an die Stirn.

Ja, so war das. Egal war, wer den ersten Stein geworfen hatte; er hatte ja nicht getroffen. Egal auch, wer den letzten warf, es war ja nichts passiert. Die Geschichte war keines weiteren Wortes wert.
Abends vertilgte der Klassentrottel unsere Reste und lachte.

PraetoriusCC intern

Christian und Christine Praetorius
Theodor-Heuss-Str. 56
47445 Moers
Tel: 02841 – 40 889 95

Impressum

Datenschutz

© Copyright 2012-2025 PraetoriusCC.de · Admin