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Es passiert so viel, aber es gibt keine Handlung

In welche Richtung ich mich auch drehe beim Tanzen: Ich kann ihn nicht abschütteln. Er trachtet danach, sich an mir zu reiben, seine Brust an meinem Rücken, seine Brust an meiner Brust, seinen Schwanz an meinem Hintern; ich muß ausweichen, muß die Augen offenlassen. Zwischendurch rezitiert er Klassiker.
„Du bist wunderschön!“, sagt er zum Beispiel, und: „Ich hab so Bock auf dich!“
„Du bist bestimmt ein ganz toller Mann, aber was Besseres als die Musik kannst du mir gar nicht bieten.“

Er geht und tritt zwei Flaschen um. Der Besitzer kommt mit Eimer und Wischmop. Alle freuen sich, weil es glitschig wird, und tanzen sinnlos vor dem Wischmop herum.
Der hagere DJ fummelt seit Jahren an einem absolut verschrägten Übergang. Der Kopfhörerbügel hängt ihm halb über die Augen, er sychronisiert Wummertriolen und infundiert Sägendes und Feinstoffliches. Ich stehe und beobachte sein Handgewerk und die kleinen Flirrlichter am Plattenspieler.
Langsam erhebt sich das neue Thema, streckt Krallen aus, umschleicht und umschnurrt die Tanzfläche und haut schließlich gewaltig rein, aufwogt und loskreischt die Menge, ich mache fünf Schritte hindurch und setze mich zu den Männern aufs Sofa. Sprachfetzen zerteilen die Musik.

„Wie sich das angefühlt hat beim ersten Mal – “
„… Kraftwerk. Mein großer Bruder hat mich auch mal ziehen lassen – “
„Eno.“
„Zappa. Die Sache mit dem Pudel … “
„Ich lag da und konnte nicht mehr aufstehen, aber das war so geil, ich wollte gar nicht aufstehen, und als dann die Sonne –“
„Mit meiner ersten Freundin im Bett, keine Ahnung, was da lief, aber es war tierisch –“
„Zappa ist der Teufel.“
„Unter der Bettdecke sah es aus wie in Barcelona –“
„… nur noch den Bassisten gehört, jeden Ton, ich wußte: Das muß ein glücklicher Mensch sein.“
„All diese Menschen mit ihren Zeitfetzen und ihren gesammelten –“
„Zu bedenken, daß die auch nur eine halbe Stunde lang –“
„Eine ganze Nacht, ohne sich zu vernichten –“
„Und dann sagt einer zum andern und findet das ungeheuer wichtig: Find’ ich nicht gut jetzt irgendwie, diese Hose zu dem Hemd –“
„Du wieder.“

Darunter, tief unter der Erde, das elektrische Summen, der Rhythmus, ein Gefühl, daß es irgendwo gewaltig abgeht –

Der DJ mit dem dicken Gesicht pflanzt sich hinter den Plattenspielern auf, wurstfingert an Reglern, nimmt den Bass heraus und mischt ein solides Partybrett in den verstörenden Unterweltbeat.
„Der macht einen ja fertig!“
„Sind wir Ibiza oder was?“
„Papier irgendwer?“
„Erst noch einen Schnaps?“
„Wer zahlt?“
„Wer baut?“
„Wer geht zur Bar?“

Ich gehe meine Hände waschen. Pulsierende Schatten huschen über die Kacheln. Die Wände vibrieren. Das Wasser fließt über meine Hände. Die Seife riecht nach Pfirsich, die Luft nach Rauch, Parfüm und Urin. Mein Gesicht im Spiegel –
Laut sage ich: „Du bist wunderschön! Ich hab so Bock auf dich!“
Dann muß ich lachen: Schlagertitel!
Ich bin einsam. Ich bin Legion.
Das Wasser auf der Haut –
Die Männer warten mit dem Anzünden.

Ich schließe die Augen und höre dem Wasser zu, weich sprudelt es aus dem Hahn, schäumt und säuselt zwischen meinen Fingern und trifft das Email mit einem schnellen hellen Klopfgeräusch, das im Abfluß zu vollmundigem Gegurgel wird. Gedämpftes Musikgedröhn in Holz und Backstein läßt die klare Hallfahne im Takt erzittern und sorgt dafür, daß sie nie die Wände berührt.
Ich lausche. Zeiten vergehen. Stetig braust und donnert der Fluß. Der Prinz wächst heran und verläßt seines Vaters Schloß: Den Dreizehnten Ton muß er finden! Befreit von der Last der wohltemperierten Stimmung wird das krummbeinige Tafelklavier Melodien von subtilster Erotik hervorbringen. Die Wasserprinzessin wird ihr liebliches Haupt neigen …
So sauber waren meine Hände ja noch nie.
Ich muß zurück, da war doch, ich wollte doch, dort, in jener fernen, vergangenen –

An der Ecke steht die Frau mit dem kaputt zerfeierten Gesicht, die mir sofort unbedingt etwas enorm Wichtiges dringendst erzählen muß, es geht um ihren Sohn, der ist jetzt achtzehn und hat Aufmerksamkeitsstörung.
„Wenn man das mal hat, Auf-merksam-keits-störung“, sagt sie und läßt ihre buntbewimperten Augen haltlos in den Kopf hineinrollen, „dann ist man verratzt, das sag ich dir, aber jetzt reden wir, also, rede ich immer nur noch Tacheles, ehrlich, verstehst du, das mußte er am eigenen Leib erfahren, mich hat’s ja schier verrissen vorher, und wenn ich betrunken war und druff war und heimgekommen bin –“
Ich komme aus dem Zusammenzucken gar nicht mehr heraus, aber wegsehen ist unmöglich –
Der massige Mann hinter der kaputten Frau nickt mir über ihre Schulter hinweg zu, blinzelt und knetet ihre Pobacken, so daß sie leicht schaukelt im Stehen. Ihre Augen schwimmen zu mir zurück.
„So muß man es nämlich machen, so hätte ich es von Anfang an machen sollen, nur noch Tacheles, sonst verreißt’s dich doch, oder? Er hat auch psycho-lo-gische Hilfe gefunden und kommt jetzt gut klar, Mama, hat er gesagt, Mama, du bist der Hammer –“
Der massige Mann lacht gutmütig, sagt: „Komm, komm, Baby, so gestört, wie du bist …“

Als sie sich zu ihm umdreht, entrüstet, schlingernd, gehe ich weiter, am Tischkicker vorbei, um den sich mindestens acht Männer drängen und heftigst agieren, rudern, hüpfen und trampeln. Wüste Knall- und Ballgeräusche kommen aus dem Kasten, Stangen sausen, die Griffe wirbeln und krachen gegen das lackierte Holz.
„Wer gewinnt?“
„Türkiye!“ Arme fliegen durch die Luft.
„Du hast da aber was … deine Nase …“
„Das muß Rasierschaum sein.“

An der Bar stehen die Stammesbrüder und haben gläschenweise Absinth vor sich stehen, der im Schwarzlicht leuchtet.
„Da bist du ja! Hier, nimm!“
„Das trinken wir jetzt, das ist große Mode!“
„Ich sag euch, da muß man Zucker über einen Löffel –“
„Ach was, Unfug.“
Ich trinke, schüttle den Kopf und fühle den starken Alkohol in Bauch und Nacken. Nachbilder von Zigarettenglut und weißen Zähnen flitzen durch mein Gesichtsfeld.
„Warum tut man sich das an?“
„Das haben Scott und Amundsen auch nicht gewußt.“
Gemeinsam kehren wir zum Sofa zurück.

Der hagere DJ und der mit dem dicken Gesicht sitzen auf einem der Tische und teilen sich ein Bier. Einer in Schwarz mit Brille steht hinter den Plattenspielern, gerade produziert er aus einem geheimen Extrakoffer eine Extraplatte, packt sie umständlich aus, hält sie ins Licht, pustet darüber, schließlich landet sie mit geübtem Schwung auf dem Plattenteller. Das Regler- und Kopfhörerspiel beginnt und dauert an. Sanft erst, dann immer lauter hören wir eine Männerstimme, die uns eine Geschichte erzählt, Musik kommt auf und mehr Musik und Rhythmus, englisch ist viel cooler als amerikanisch, meine Güte, ist das gut. March or die, sagt der Bass, wir schieben uns auf die Tanzfläche. Was für eine Geschichte! Nachher wird wieder niemand wissen, wie das Stück heißt. Ganz klar ein Männerstück, die ersten reißen sich die Hemden vom Leib, Dampf steigt auf.
Ich will auch ein Mann sein und mir das Hemd vom Leib reißen.
Neben mir tanzt ein schöner Junge, auf den passe ich jetzt auf, damit er nicht fällt, irgendwann fällt er aber doch und fällt mir in die Arme. Ganz erschrocken sieht er mich an, fragt: „Kennst du Code fünf-fünf-fünf-acht-drei?“

Dann scheint es deutlich später, da muß Zeit vergangen sein, vielleicht ist oben schon die Tür offen. Ich sehe nach: Ein grauer Morgen. Hinter mir kommen noch etliche nach dem Wetter sehen, Ritualworte werden gesprochen:
„Uh, ist das hell!“
„Boah, meine Augen!“
„Ist das alles echt?“
„Oh Gott, mach mal einer das Licht aus hier!“
„Ich bin blind!“
„Hat wer Uhrzeit?“
Acht vielleicht. Neun. Sieben. Zwölf. Du hast doch Winterzeit-Jetlag. Meine Uhrzeit ist besser als deine. Meine hat sich seit Jahren nicht verändert. Meine ist auch nach Stunden noch frisch. Sei doch mal still, wenn das jemand hört. Hört doch eh keiner.
Der Mann meiner Wahl sagt: „Laß uns mal nach dem Bus gucken.“

Im Bus: Der kleine Gasofen macht so schnell so warm, daß wir nackt herumstehen, trocknen und dabei durch die oberen Schiebefenster sehen können. Von außen sieht man nur unsere Köpfe. Das Moos in der Fensterdichtung ist feucht und leuchtend grün, eine gesunde und glückliche Pionierpflanze.
„Eigentlich darf man sich daran nicht freuen. Man sollte im Gegenteil mit Fensterkitt –“
„Mit Spezialacryl!“
„Ach komm …“

Die Decken sind ein wenig zu klamm, um sie trockenzuschlafen. Aber zwei Stunden wird die Gasflasche noch hergeben. Alles ist warm, durch das Grzimekfenster in der hinteren Tür sehen wir Passanten im Trainingsanzug. Wir schaufeln die Paillettenkissen auf die Vordersitze, breiten die klammen Decken auf der Liegefläche aus und schmiegen uns aneinander.

Unter uns, tief unter der Erde, das Brausen, der Rhythmus, ein Gefühl, daß es irgendwo immerzu gewaltig abgeht –

Scott und Amundsen, Frauen und Söhne, das stetige Wasser, das barocke Sofa, Zappa, der Teufel und der coole Engländer, dem die heiße Braut die Brieftasche geklaut hat. Die grüne Fee und das grüne Moos, Eno und der Dreizehnte Ton, der Kopfhörerbügel im kantigen Gesicht, die Acht-Uhr-Menschen mit ihren Scheuklappen, der Gastgeber mit seinem roten Wischmop und seiner neuen Narbe unterm Bart. Die Zeit und die Musik und die Zeit in der Musik.
Alle sind einsam, jeder ist Legion, alles ist dort draußen, im Äther, für immer, es passiert so viel, aber es gibt keine Handlung.
Stück für Stück fallen mir friedlich die Augen zu.

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