Geburtstagsüberraschung
Smiley verteilt Einladungskarten. Steht vor dem Ajo, die Sonne geht gerade über den Dächern auf, steht da, mit seinem halb getrunkenen Bier in der Hand, das er schon den ganzen Abend zu tragen scheint, und drückt jedem Mädchen das vorbeikommt eine Karte in die Hand.
„Ich habe Geburtstag, kommt alle und feiert mit mir“, steht handgeschrieben da und gewährt mir daher mehr Einblick in seine Psyche, als mir lieb wäre. Auf der Rückseite stehen Datum und Adresse und die launische Bemerkung „bringt viel Spaß mit (hehehe)“.
‚Understament’, denke ich und reiße ein „e“ und ein „he“ mit schließender Klammer heraus, einen Filter zu bauen.
Aus dem Straßenbild dieser Stadt, zumindest wenn man sich nur in bestimmten Gegenden zu bestimmten Uhrzeiten aufhält, ist Smiley nicht wegdenkbar. Immer steht oder läuft er dort herum, immer begleitet von einer Gemengelage an Haaren, die an selbstgestrickte und zu oft falsch gewaschene Pullover erinnert, seinem stets prall gefüllten und lächerlich zerfetztem Rucksack und dem Duft von Räucherwerk. Selbst bei Gegenwind meine ich ihn riechen zu können, wenn ich in diesen Gegenden weile.
Smiley hat vermutlich einen Namen und eine Geschichte, auch wenn ich niemanden kenne, der das bestätigen kann. Oder will, ich habe ihn ja auch noch nie gefragt.
Irgendwann sagte jemand zu mir : „Das ist Smiley, der ist immer hier“, und ich wußte alles, was mir wichtig erschien.
Ich weiß nichtmal, wie alt er wohl wird, versuche ihn aus den Augenwinkeln genauer anzusehen, versuche unter den Haaren Konturen zu erkennen, doch ausser Haaren und einer Nasenspitze kann ich nicht viel ausmachen.
‚Mindestens Mitte Vierzig’, schlußfolgere ich aus sichtbaren grauen Strähnen, seine Augen erkenne ich auch kaum.
Die zwei Mädchen kichern, als Smiley ihnen ihre Karte überreicht.
„Ihr kommt doch, beide?!“ Seine Stimme ist erstaunlich tief und voll für so einen gedrungenen Kerl wie ihn, und wie ich darüber nachdenke fällt mir auf, daß ich seine Stimme überhaupt zum ersten Mal wahrnehme.
Während ich den Filter in der Hand rolle und mein restliches Werk vor mir auf dem Mauerabsatz nicht aus den Augen lasse, denke ich darüber nach, wo im Leben diese Stimme in dieser Karikatur eines Menschen entstehen kann. Finde keine Lösung, habe den Filter fertig gedreht und appliziere ihn vorschriftsmäßig, nehme aus den Augenwinkeln wahr, wie Smiley seine Einladungskarte ungenutzt zurück erhält und die beiden Mädchen zum Tor laufen.
„Wollst auch mal ziehen?!“, frage ich Smiley, halte ihm mein Werk hin und atme aus. Er will und zieht.
‚Seltsam’, denke ich, ‚ich habe Smiley noch nie lächeln gesehen.’
Wir rauchen schweigend, den letzten Zug lasse ich ihm und mache mich selber auf den Heimweg.
Am Abend der Feier habe ich immer noch kein Geschenk und entschließe mich dennoch zum Aufbruch, der Abend ist jung und lange will ich nicht bleiben, das weiß ich jetzt schon, doch vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, nachher mit ein paar Leuten noch ins Ajo zu fahren. Wenn die kommen, werden die auch keine Geschenke haben, da bin ich mir sicher und fühle mich so schon jetzt in guter Gesellschaft.
Die Wohnung befindet sich im Hinterhof, aus der vorgelagerten Kneipe drückt schwülwarme Musik durch die halb geöffneten Fenster und Raucher stehen vor der Fußmatte, unterhalten sich angeregt.
Ich grüße wortlos, schaue mich suchend nach dem Eingang um, finde ihn, als sich die Haustür öffnet und ein Straßenköter samt gleichermaßen gehaarfärbtem Herrchen mir entgegendrängt.
„Wollste zum Smiley“, stellt er fraglos fest und weist unbestimmt in den dunklen Hausflur, dessen Geruch mir nicht behagt, als ich ihn, kurz nickend, betrete. Es riecht nach Essen, geklautem Kabelfernsehen und nach Patchouli.
Die Wohnungstür steht offen und die Wohnung erweist sich unangenehmerweise als die Quelle des Patchouli-Geruches. Ich verzichte weitgehend auf Nasenatmung und trete näher. Der Flur ist dunkel, nur eine Lavalampe verbreitet mickriges Licht, hinter einer angelehnten Tür höre ich Stimmen. Drücke sie auf, stehe in einem garnichtmal so kleinen, mit Matratzen fast vollständig belegten Raum. Und Menschen. Niemand sonst steht.
Besucher und Gäste haben es sich sehr individuell bequem gemacht, es wird aus Flaschen getrunken, Braumeister, der Kasten ist zur Hälfte noch voll, viel habe ich nicht verpasst.
Beim Versuch, einen Platz zum Sitzen zu finden, trete ich Smiley fast auf seine Hände, die sich, Handflächen dem fleckigen Oberstoff der Matratze zugewandt, ausbreiten. Vor ihm glimmt ein Räucherstäbchen, neben ihm steht ein halb ausgetrunkenes Weizenglas.
„Hallo …“, intoniere ich und lasse mich auf einen freien Flecken Matratze nieder. „Und alles Gute zum Geburtstag. Wie alt bisste denn geworden?“
Smiley sieht mich an, nicht lächelnd sieht er mich an und sagt nichts. Dann sieht er wieder weg, auf seine Hände, auf den dünnen Rauchfaden, der zwischen seinen Armen aufsteigt, seinen Oberkörper streift, sich in seinem Bart verfängt und dann nur noch zu riechen ist.
Ein junges Mädchen, der Pubertät gerade entwachsen, kommt zu ihm, hockt sich vis-a-vis, betrachtet einen Moment den Rauchfaden, dann das Weizenglas. Sie strahlt hübsche Überlegenheit aus und ich frage mich einen Moment, mit welchen Versprechungen er so viele junge Dinger in seine Matratzenrauchhöhle locken konnte.
„Cool, ich mag nämlich kein Bier, kann ich nen Schluck Weizen haben?“ Fragt’s und nimmt sich das Glas, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Boah ey, das is ja voll warm, das muss schnell getrunken werden“, zwinkert sie ihm zu, nimmt einen tiefen Schluck.
„Lecker, Weizen mit Banane“, nimmt noch einen Schluck, tränke vermutlich das ganze Glas aus, würde nicht in diesem Moment Smiley den Blick heben, sie ansehen und mit dieser tiefen, vollen Stimme sprechen :
„Nee du, ich hab heute Mittag beim Inder gegessen.“
Zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, sehe ich ihn lächeln. Der Abend hat sich bereits gelohnt.