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Was verändert und was bleibt

Der Gang strahlte dunkle Energie aus, mit langsamer Frequenz pulsend und ein wenig an Vakuum erinnernd. Die Türen wurden dort lautlos geschlossen, alles atmete Schwere aus, die Besitz ergriff und mich noch lange in ihrem Bann hielt.

Ein Mitmensch nahm an der Pforte meine Daten auf, durch seine langweilige Brille sahen mich langweilige Augen an, ohne nennenswerten Tonfall stellte er seine Fragen in den Vormittag mir gegenüber, mechanisch antworte ich, er notierte und händigte mir den Durchschlag seines Wirkens aus.
Ich machte mich auf den Weg über die Grasnarbe, vorbei an runkeligen Büschen, über mir der normale blaue Himmel, eine Sonne in Gutform, der Tag versprach viel und hielt es.
Manche Gegenden einer noch so kleinen Stadt bekommt man nicht zu sehen, wenn man nicht dorthin geführt wird. Dieser Ort war schön, die Gegend gepflegt und gut ausgeschildert, dazu dieser unverschämte Sonnenschein. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir tatsächlich dieses Wohlgefühl herausnehmen konnte, und tat es dennoch. Seit einigen Wochen erst war ich in diesem Job, noch lange kein Routinier, unvorbereitet auf alles, was kam und kommen mochte, doch neugierig.
Als Kerstin mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, den Besuch in ihrer alten Anstalt zu machen, mich dort über die Vorgeschichte zu informieren, stimmte ich sofort zu. Die Abteilung wurde aufgelöst und die Akten würden wahrscheinlich in absehbarer Zeit vernichtet werden, wenn alle Bewohner auf andere Plätze vermittelt wären. Ich kannte die Destination nur von den Beschilderungen am Südring, auf meinem Schulweg kam ich dort immer vorbei, abgebogen war ich nie.

Der Mann in Weiß führte mich in einen hellen und unerwartet großen Raum, an einen der vielen dort aufgestellten Tische, und wies mich an, Platz zu nehmen. Dann verschwand er kurz, und kam mit Papier wieder, einsortiert in vier Aktenordnern.
Er legte die Akten vor mich auf den Tisch, mit entschuldigendem Blick – oder bildete ich mir das nur ein? – wies er darauf hin, keine Zeit zu haben, und verließ, ohne weitere Worte zu verlieren, den Raum.
Ich war allein. Allein mit einem Stapel Papier, einem großen Stapel. Einer Lebensteilgeschichte. Vierzig Jahre dokumentiertes und abgeheftetes Leben, keine Aussicht auf Heilung.

Sie zog genau einen Tag nach meinem ersten Dienst ein. Frau G. war vor einigen Monaten gestorben und das Zimmer musste neu besetzt werden, ein leichtes, auf einen freien Platz kamen Dutzende von Kandidatinnen. Und gleich am ersten Tag, in der ersten Stunde zeigte sie dieses Lächeln, dieses Lächeln.
Wie ein Sonnenaufgang. Es ließ ihr ganzes Gesicht erstrahlen, es leuchtete von innen heraus und direkt in mein Herz. Und in die der anderen.
Die Zeit hatte Spuren hinterlassen auf ihrem Gesicht, ihr zahnloser Mund stand nie still, immerzu kaute sie, extrapyramidalmotorische Störungen, so das Fachwort dafür, Kollateralschäden. Der Krebs hatte sie noch nicht geschafft, sie war zäh. Und gläubig. Sie konnte leuchten, erblühen, sich so vollkommen aufhellen und alle Jahre, alle Jahrzehnte ungeschehen machen, verharrend im Moment, in einem Lächeln.

Sie war damals Magd, Dienstmagd. Aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen, in der Kindheit der erste Krieg, dann Heirat, sie gebar einen Sohn. Mich befremdeten die Photos, eines direkt nach ihrer Aufnahme, die anderen später, keines ähnelte dem Menschen, dem Rest Leben und der vollkommenen Bescheidenheit heute. Sie ähnelten sich nicht einmal untereinander, ich versank lange in ihnen und suchte nach Anhaltspunkten, erfolglos.
Die Anamnese vergilbt, das Papier an den Rändern zerfleddert, anfänglich las ich intensiv, dann oberflächlicher, blätternder.

Nach dem zweiten Krieg waren die Prioritäten verschoben, sie fiel durch ein noch nicht gewobenes Netz und schlug hart auf, wie die Typen der Adler-Schreibmaschine auf das früher einmal weiße Papier. Das „e“ ließ Verschleiß erahnen, manches Komma erinnerte mehr an einen Punkt. Die Sätze waren knapp und sachlich, doch eines war den behandelnden Ärzten bereits damals aufgefallen: ihr Lächeln.
Auf dem vergilbten Anstaltspapier protokolliert, bereits damals hatte ihr dieser Zauber innegewohnt, auch wenn die Photos keine Ähnlichkeit mit dem heutigen Abbild hatten, das Lächeln war eine Konstante in ihrem Leben. Glauben muss Kraft geben; mehr, als ein Menschenleben, mehr, als die Lieblosigkeit ihres Mannes, die Angst ihres Sohnes zerstören konnten. Ich setzte ab, sank in Gedanken, fühlte in dieses Leben hinein, so es mir möglich war in meinen jungen Jahren, und verirrte mich, suchte erneut den Weg in diesen Raum, den Weg in mein Heute.

Die nächsten Blätter nahm ich nur noch flüchtig wahr, ohne inhaltlich zu werden ging ich durch Beschreibungen medizinischer Zwischenberichte, eine handschriftliche Notiz, ihr Sohn hat sie besucht, wenige Jahre nach ihrer Einlieferung, „der Besuch hat Wirkung gezeigt“, wieder ihr Lächeln, diesmal mit einer anderen Type in das Papier gedrückt, doch auch durch die Sachlichkeit des Berichtes war ihr Zauber lesbar.
Dann wieder Behandlungsberichte, die Beschreibungen von Elektrokrampftherapie, Insulinschocktherapie, Medikation. Und daß sie regelmäßig an Gottesdiensten teilnahm, sich sozial unauffällig verhielt, glaubte und ertrug.

Ich versuchte, diese Berichte nicht in mich dringen zu lassen und merkte, daß es mir nicht gelang, ich schloss die Akte, ohne in der Neuzeit angekommen zu sein, und sah auf. Vor mir im Fenster der sonnige Tag, die Scheiben sauber und klar. Dahinter Bäume, Vogelzwitschern, und meine Gewissheit, nicht bleiben zu müssen. Ausatmen, hörbar, ich war.

Ich stand auf, die Tür war erleichternd unverschlossen, im Gang diese Schwere der vielen Geschichten, eine andere Frau zog ihre Kreise auf dem Flur, einen Stoffpapagei im Arm haltend und nicht lächelnd. Die Laute, die sie von sich gab, waren dem menschlichen Vokabular vielleicht entlehnt, doch nicht mehr eigen. Ich fand den Ausgang, ein Pfleger in Weiß, diesem strahlenden Weiß, eilte hinzu, er hatte den Schlüssel und benutzte ihn in meinem Sinne. Die Tür offen, noch ein Flur, leise Erinnerung an den Hinweg, links, dann zwei Türen weiter, neben der Pinnwand, klopfen, Schlüsseldrehen im Schloss, ein Schritt noch. Unter meinen Füßen endlich wieder Kies und die Ahnung von Freiheit, gesäumt von Rasen und blühendem Leben.

Auf dem Rückweg hatte ich es nicht mehr eilig, ich hatte mehr erfahren als gebraucht, Demut war ein leerer Begriff bisher, nun kannte ich eine Bedeutung, ich sah in den Himmel. Die Sonne rund, gelb, warm, der Tag war, so wie ich auch.
An der Pforte meine Abmeldung, Unterschrift, Gruß zum Weggang, der Mitmensch lächelte kaum merklich in diesen Tag, ich sah in seinen Augen nicht, was ich suchte und drehte mich um.

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