Ich finde das Thema, doch der Titel weiß zu schweigen
Mit meiner neuen Sprechschreibausstattung habe ich mittlerweile viele tausend Wörter diktiert. Ein kurzer Überschlag im Kopf ergibt … hm-hmm … einen mittleren fünfstelligen Wert.
Diese putzige Formulierung wollte ich ja schon immer mal benutzen: einen mittleren fünfstelligen Wert! Das sagen Leute, denen „rund fünfzigtausend“ schon zu präzise wäre. Oder die heimlich glauben, dass es höchstens zwanzig- oder dreißigtausend sind, aber hoffen, diesen Wert durch die Wischiwaschiformulierung im Leserempfinden ein wenig aufzurunden. Und immer muss sich solch ein Wert ergeben oder jemand muss draufkommen, denn ihn direkt ansprechen und „mittlerfünfstellig“ nennen will ja keiner.
Glückauf, der Einsteiger kommt
Aber was rede ich hier überhaupt? Eigentlich wollte ich sagen, dass es trotzdem ganz schön schwierig sein kann, mittels Diktiergerät einen Blogbeitrag zu verfassen.
Verfasser hört man ja häufig klagen, der Einstieg ins Thema sei am schwersten. Das stimmt aber nur, wenn man kein Thema hat.
Hätte man eins, könnte man direkt reinsteigen. So machen wir das für unsere Kunden ja auch – da wird nicht erst dreihundert Wörter lang daherformuliert und gehofft, das Thema möge sich dadurch irgendwie so von der blinden Seite her anschleichen und alle weiteren Formulierungen sicher einsacken.
Wo ein Wille ist, ist noch lang nichts G’scheites geschrieben.
Ich habe sehr viele Themen im Kopf, über die ich schreiben will – manche aktuell, über andere will ich seit Jahren schreiben, dazu kommt der Notizblock, der neben dem Bett liegt und sich mit lustigen Dingen füllt, die ich zum Beispiel im Fernsehen höre und denke: Darüber könnte man ja einen ganzen Blogbeitrag schreiben.
Dauernd sammle ich neue Dinge in meinem Kopf, krame alte hervor, vergesse wieder was und denke: Ach komm, das mach ich jederzeit ratzfatz, ist doch jetzt alles so einfach, ich hab ja das Diktiergerät!
Dann bin ich aber noch kein Profi mit dem Ding, außerdem bin ich genant – es ist ein komisches Gefühl, an meinem Schreibtisch zu sitzen und ganz spontan dolle Sätze formulieren zu wollen, während mein Mann einen Meter daneben sitzt und einen hochverkopften Artikel zu einem seriösen Thema verfasst. Und natürlich traue ich mich auch nicht, das teure Gerät mit ins Bad zu nehmen. Immerhin ist es kaum vier Wochen her, dass ich beim Gestikulieren ein Radio in die Badewanne geschmissen habe.
Wochenlang schiebe ich also diese ganzen Themen mit mir herum, beim Kaffee im Bett sagt mein Mann: „Blogbeitrag wär auch wichtig“, und schon fühle ich erheblichen Kunstdruck, und wohin der führt, nämlich über Lustschwund, Frustwuchs und Musenflucht direkt zum Kunstverdruss, das wissen wir ja wohl, Herrschaften.
Aber was sehe ich? Nach einer kaum mittleren dreistelligen Wortanzahl hat sich plötzlich ein amtliches Thema ergeben. Genauso hab ich mir das vorgestellt, es hätte halt nur schon nach drei Zeilen passieren sollen. Das Thema ergibt sich direktemang aus dem Wort „Herrschaften“: Ich werde etwas zur Gendersprache schreiben!
Etwas zur Gendersprache
Oh nein, stöhnst du, lieber Leser, vielleicht jetzt auf, nicht schon wieder ein eitler Texter oder öder Sprachkabarettist, der sich über holprige Klänge, lächerliche Satzbauten und die allgemeine Doofheit geschlechtergerechter Sprache verbreitet!
Aber nein, lieber Leser; ich doch nicht, mach ich nicht. Ich bin ja nicht doof und habe längst begriffen, dass das keine Lösung ist. Die Dinge haben sich schon so weit entwickelt, dass es mir kaum mehr sinnvoll scheint, auch nur zu hoffen, alles könnte zum unbefangenen Sprachgebrauch vor der Gendersprachkrise zurückkehren.
Ich weiß nicht einmal, ob irgendjemand sagen könnte, wann genau diese Krise begonnen hat, oder ab wann man sie als Krise bezeichnen könnte, oder ab wann man sie schon nicht mehr als Krise bezeichnen kann, weil sich jeder daran gewöhnt hat.
Fies und doof sehen die geteilten Wörter, klanglosen Extrazeichen, komischen Wendungen und Endungen natürlich immer noch aus – von den Ausspracheschwierigkeiten, die sich dadurch ergeben, ganz zu schweigen.
Ich glaube, ich kann mich sogar an den Moment erinnern, in dem ich dachte: Da ist doch einfach alles zu spät, das kriegen wir nie wieder so hin, wie es einmal war. Das war, als ich in einem Forum die Klage einer Studentin las, die wegen der Benutzung des Wortes „Säugling“ in ihrer Diplomarbeit Ärger mit ihrer Dozentin bzw. Hochschule bekommen hatte.
Merkste selber …
Muss ich jetzt nicht erklären, drauf rumreiten oder noch einen blöden Witz drüber reißen, oder?
Wir sind ja alle nicht doof – auch du, lieber Leser, nicht. Was wir also stattdessen brauchen, ist eine Lösung. Und weil alle vorhandenen Möglichkeiten entweder nichts taugen, doof klingen, furchtbar aussehen oder doch nur wieder Streit geben, ist das einzige, was hier noch hilft, eine ganz neue Endung.
Die muss natürlich an alle möglichen Wörter passen, ohne allzu schräg zu klingen oder Leuten, die sich ernsthaft und gerecht zu wichtigen Sachen äußern wollen, in lächerlicher Weise die Zungen oder den Kontext zu verknoten.
Lösung? Kein Problem.
Ich hab mir da was überlegt – um ehrlich zu sein schon vor vielen Monaten, sagen wir mal: vor einer mittleren zweistelligen Menge von Monaten – und zwar die Endung „of“. Die hab ich seither an vielen verschiedenen Wörtern ausprobiert.
Wenn Politiker und andere Menschen in Funk und Fernsehen Ansprachen einläuten oder Reden halten, in denen sie sich etwa an „Bürger und Bürgerinnen“ wenden, Schrägstriche mitvorlesen, von demonstrierenden Studierenden reden oder unsichere Kursivpausen rausdrucksen, wo bei den Schüler*innen die Gendersternchen sitzen, dann sage ich stattdessen: Liebe Mitgliedof, Lesof, auch Hörof daheim vor dem Radio! Willkommen, ihr Spielof, Glücksrittof und Spekulantof – lasst uns alle Partnof sein! Sehr verehrte Bürgof, hört her, Studentof, aufgepasst, Demonstrantof!
Und immer war es okay.
Gegenargumente? Mal gucken.
Jetzt können natürlich noch viel schlimmere Klugscheißer daherkommen und sagen: Das klingt aber irgendwie russisch! Denen antworte ich: Na, dann denkt euch eine bessere Endung aus und schickt sie mir zu, damit ich sie mir laut vorlesen und anhören kann. Vielleicht kriegen wir auf diese Weise ein paar gute Vorschläge zusammen, die wir bei den Chefgermanisten einreichen können – zur Prüfung und Sprachwerkentlastung.
Denn wollte man auf Sicht für jedes vormals genderneutrale, jetzt aber genderungerechte Wort wie Gast, Arbeitgeber, Unhold oder Scheunendrescher eine gerechte Entsprechung in den Duden schreiben, müsste Onkel Duden eines Tages wohl auch jedem möglichen zusammengesetzten Hauptwort einen eigenen Eintrag spendieren. Das könnte er selbst dann nicht leisten, wenn er das ganze Internet dafür hätte – und das kriegt er schon deshalb nicht, weil ich ein bisschen was davon für meine revolutionären Ideen brauche.
Damit ist dieser Beitrag, wie ich zu meinem Erstaunen und meiner Freude feststelle, tatsächlich von ganz allein zu einem guten Ende gekommen. Zwar stand das Thema nicht auf meinem Notizzettel, doch wichtig ist es trotzdem: ein wichtiges Thema unserer Zeit, weil eng verwandt mit Sprache, einem total wichtigen Thema überhaupt.
Jetzt noch ein schönes Bild dazu, dann kann die Chose gemütlich durch die Decke gehen.