Schloss Neuenbürg: Hier wird das kalte Herz gespielt
Viele Förster und kein Fürst
In Neuenbürg an der Enz steht ein Schloss, in das kein Fürst je einziehen wollte. Jahrelang residierten das Forstamt und wechselnde Privatbewohner in seinen unbeheizten Räumen. Was im November in der Küche verschüttet wurde, fror fest und konnte erst im nächsten April aufgewischt werden – eine harte Probe für brave Schwaben.
Wasch- und Trinkwasser wurde in Neuenbürg geholt und mühsam den Berg hinaufgetragen.
Heute liegt das Schloss der Stadt auf der Tasche. Die härtesten Konkurrenten bei der Vergabe von Geldern: Das Freibad und die Borkenkäfer. Dabei hat Schloss Neuenbürg einiges zu bieten – die Hauptattraktionen wären besser als ihr Weltruf, wenn sie einen hätten.
Das zauberhafte und schröckliche Märchen
Das Märchen vom kalten Herzen wird in sechs Räumen des Neuenbürger Schlosses als begehbares Theater inszeniert.
Wilhelm Hauff, der Autor, lebte ebenfalls im Nordschwarzwald und starb im Alter von sechsundzwanzig Jahren.
„Lassen Sie sich verzaubern und erschrecken!“, sagt der Vorspann – Besucher sind gewarnt.
Nichts für schwache Nerven
Zwanzig Minuten dauert das Märchentheater. Die Türen zwischen den sechs raumfüllenden Kulissen öffnen und schließen sich automatisch, wechselnde Licht- und Klangquellen verändern die Atmosphäre mit dem Erzählverlauf.
Durch Spezialeffekte wird es an einigen Stellen so gruselig, dass zart besaitete Gäste die Flucht ergreifen.
Dieses Foto wurde im zweiten Raum aufgenommen und zeigt Kohlenmunkpeter, den Helden, mit seinem Raben und dem rauchenden Meiler.
Peter ist arm, einsam und gerade damit beschäftigt, drei reiche Säcke zu beneiden, die im Gasthaus zechen, schlemmen, würfeln und tanzen, während er darauf wartet, dass Holz verkohlt.
Es gibt zudem einen Waldgeist mit Schwäche für Sonntagskinder: Das Glasmännlein erfüllt einem Sonntagskind drei Wünsche, sofern dies vorher den richtigen Reim aufgesagt hat und die Wünsche auch vernünftig sind.
Sonntagskind mit schlechtem Gedächtnis
Von dem gereimten Vierzeiler, der das Glasmännlein herbeirufen kann, hat Peter die letzte Zeile vergessen. Doch der Held vertraut auf seinen Geburtstag und erinnert sich schließlich im Traum an die letzte Zeile.
Als das Glasmännlein erscheint, wünscht sich Peter, eine große und reiche Glashütte zu besitzen und immer so viel Geld in der Tasche zu haben wie der Dicke Ezechiel, einer der reichen Säcke, die er so beneidet hat. Wegen der Unvernunft dieser beiden Wünsche verweigert ihm das Glasmännlein den letzten, aber das ist Peter erstmal egal, denn jetzt ist er ein steinreicher Mann.
Das viele Geld verdirbt Peters Charakter. Er säuft, spielt und schafft nichts in seiner schönen Glashütte. Eines Abends spielt er mit Ezechiel und gewinnt immer wieder, bis Ezechiel mit leeren Taschen dasitzt. Erst jetzt erkennt Peter seinen Fehler, aber es ist zu spät: Er ist bankrott.
Der Schurke tritt auf
In seiner Not und Geldgier lässt Kohlenmunkpeter sich auf einen Handel mit dem Holländermichel ein. Dieser böse Waldgeist tauscht lebendige Herzen gegen blanke Taler und kalte Steine. Peter erkennt, dass die drei reichen Säcke denselben Handel geschlossen haben, denn der Holländermichel hat ihre Herzen ebenfalls in seiner Sammelkammer.
Nach dem Tausch ist Peter wieder flüssig. Weil er außerdem herzlos ist, treibt er Zinswucher, mißhandelt Arme und Kranke und erschlägt zuletzt seine Frau, weil sie einen Bettler bewirtet hat, der sich dann auch noch als das Glasmännlein zu erkennen gibt.
Alles oder nichts
Peter bekommt eine letzte Chance, sein Herz zurückzugewinnen und alles wieder gutzumachen. Mit einem gläsernen Kreuz als Schutzzauber wandert er in die Unterwelt und überlistet den Holländermichel mit dem guten, alten Geisterveräppeltrick: Das ist ja gar kein Stein in meiner Brust, wie soll das denn gehn, du dummer Geist, das kannst du doch gar nicht etc pp –
Schon rennt der Michel los und holt das echte Herz, um zu beweisen, was er draufhat.
Das Kreuz gezückt, guten Willen bewiesen, und zack! – Peter hat sein Herz zurückerobert. Jetzt fällt ihm erst richtig auf, was er alles angerichtet hat … aber das Glasmännlein hilft ihm und macht auch seine Frau wieder lebendig.
Happy End mit Torte
Im letzten Raum feiern alle ein Versöhnungsfest, und eine riesige Schwarzwälder Holztorte dreht sich dazu. Jede Kirsche dieser Torte wurde bereits dutzendfach von entlastungseuphorisierten Kindern abgezwiebelt und von den Schlossmitarbeitern wieder angeklebt.
Die umfangreiche Maschinerie, die das Märchen zum Leben erweckt, wird von Ralf Bischoff, einem Neuenbürger Techniker, aus Liebe zum Schloss instandgehalten.
Das verpackte Museum
Das Badische Landesmuseum Karlsruhe hat seiner Zweigstelle im Schloss Neuenbürg so wenige Exponate zur Verfügung gestellt, dass die findige Neuenbürger Museumsleitung hierzu ein besonderes Konzept entwickelt hat, und zwar:
„Die Herrschaften sind nicht zu Hause.“
Fast alles ist mit weißen Tüchern zugedeckt oder verhangen; wer aber trotzdem sehen will, wie das damals war in Neuenbürg, der wird vom hölzernen Schlossdiener Ambrosius durch die erlauchten Räume geführt.
Bei ihrem Rundgang erleben Besucher alte und neue Geschichten: von den Kelten, die zuerst auf dem Schlossberg waren, vom geheimnisvollen Neuenbürger Asylstein, von den Tragödien des Zweiten Weltkriegs und den Freuden des schönsten Wiesengrundes.
Evolutionsdrama und Weltpanoptikum: Der Künstler in der Badestube
Der Maler und Bildhauer Hans-Ludwig Pfeiffer, der in den späten 1950er Jahren ohne Geld nach Neuenbürg gekommen war, fand im Schloss neuen Raum zum Arbeiten und Wohnen. In der ehemaligen Badestube richtete er sein Atelier ein und schuf in den Jahren nach 1968 eigenartige und bizarre Kunstwerke, von denen etliche noch heute dort stehen.
Neue Wege auf alte Tage
Nach verschiedenen Schicksalsschlägen fühlte Pfeiffer sich von seinem Zeitalter sowohl angeekelt als auch erheitert. Für sein Alterswerk brach er mit der Mode und den Denkvorschriften seiner Kunst.
Seine „Große Blabla-Maschine“ und das „Theatrum Mundi“, Evolutionsdrama und Weltpanoptikum, können kostenlos von Schlossbesuchern mitbesichtigt werden.
Diese Ruine hätte eine Ritterburg sein sollen …
… war sie aber nicht. Sie war ein Kornspeicher.
Heute ist sie eine freundliche Ruine: Keins der Kinder, die seit Jahrhunderten auf ihr herumklettern, ist je ernsthaft zu Schaden gekommen.
Alle Photos in diesem Kapitel des Bilderbuchs wurden von Ralf Bischoff und Christine Praetorius mit freundlicher Genehmigung des Schloss-Teams und Museumsleiterin Elke Osterloh aufgenommen.