Wadde hadde Duden da?
Es ist wichtig, dass ein Wort in seinem Kontext gut aussieht und gut klingt. Gut heißt dabei üblicherweise vertraut und deutlich. Ein Wort mit Wiedererkennungswert kann ankommen, ohne dass es aneckt oder sauer aufstößt. Dazu sollte es idealerweise auch immer gleich geschrieben sein. So lange sich die Nutzer da nicht einig sind oder keiner richtig Bescheid weiß, dümpelt das Wort halbintegriert im Sprachschatz herum.
Der Duden kann helfen, indem er neue Wörter aufnimmt und damit sagt: So, das gibt es jetzt offiziell auch im Deutschen, das ist damit gemeint, so wird es rechtgeschrieben, und daran könnt ihr euch ab sofort gewöhnen.
Es gibt ein paar Voraussetzungen für die Dudenreife, aber die sind locker zu erfüllen:
- Das neue Wort muss, um seine festen Absichten zu bekunden, schon vor dem Eintrag lange genug und häufig genug verwendet worden sein. Wörter auf Durchreise, die in Deutsch nur einen One-Night-Stand sehen, kriegen zwar die Adresse, nicht aber den Hausschlüssel.
- Das neue Wort muss zum Duden passen, dem alten Wortversteher. Je erklärungsbedürftiger also die Bedeutung und je schwieriger die Schreibung, desto besser.
Sprachüberfremdung? Deine Mudder.
Traditionell wetzen sich Hochgermanisten und andere Sprachreinhalter am Duden. Geschimpft und geklagt wird vor allem über die zunehmende Anglisierung. Tatsächlich sind Anglizismen mit einem Anteil von unter vier Prozent im Deutschen aber sehr schwach vertreten. Etliche hatten nie eine deutsche Entsprechung und wissen darum nicht einmal, wie man ein deutsches Wort verdrängt. Anglizismen fallen lediglich stärker auf – entweder wegen der liebgewonnenen Meckertradition, oder weil ihre Haupteinsatzgebiete (z. B. Wirtschaft, Marketing und IT) ebenfalls stärker (und vielen auch noch unangenehm) auffallen.
Über die ganzen anderen Fremdwörter, die immerhin ein Fünftel der deutschen Sprache ausmachen, wird deutlich weniger geschimpft. Vielleicht liegt das ja am Klang. Oder am Image. Oder an der Gewohnheit. Vertraute Fremdwörter (z. B. skalieren, polarisieren, theoretisch, Option, Akquise, Duell, Komplex etc.) sehen auch auf Papier längst gut und richtig aus. Dagegen müssen manche junge Anglizismen sehr oft gelesen und geschrieben werden, bis die Macht der Gewohnheit ihre Peinlichkeitsschwellen abgeschliffen hat.
Zur Sprachüberfremdung würde es aber selbst dann nicht reichen, wenn jeder Anglizismus auf einem niedlichen englischen Motorrad daherkäme. Denn steht er erst im Duden, ist er kein fremdes Wort mehr, sondern ein deutsches. Und so blöd, dass sie sich von ihren eigenen Wörtern überfremden ließe, kann keine Sprache sein.
Zu viele Wörter gibt es nicht
Im deutschen Wörterbuch, das zwischen Aa und Zytotoxizität Gesinnungslumperei, Mordsdusel, Pfahlschuh, Katastraljoch, Kinkerlitzchen, pillepalle, killekille, Mückendreck, Quakelchen, Wurstblatt, Pamp und Pustekuchen enthält und das mir, wenn ich „Brimborium“ nachschlage, gleich noch Pipapo, Chichi, Bahöl, Geschiss, Buhei, Gedöns und Fisimatenten anzeigt, gibt es offenbar keinerlei Platzprobleme. Wer also ein Wort nicht mag, kann es einfach vermeiden und stattdessen ein anderes verwenden, das ebenso gültig ist. Davon gibt es Unmengen aus aller Herren Länder, und wie alt die sind, ist auch egal, weil Wörter nicht vergammeln. Nur aufgrund von mangelnder Anwendung verschwinden sie aus dem Sprachgebrauch und fliegen aus dem Wörterbuch.
Ein in seiner Germanistenseele gekränkter Neuwortkritiker sollte die Wörter des Anstoßes also idealerweise überhaupt nie verwenden, denn mit jeder kritischen Erwähnung hilft er ihnen beim Fußfassen und trägt so dazu bei, die angeschmuddelte Sprache noch mehr zu versumsen. Lieber sollte er umso fleißiger Wörter verwenden, die ihm gefallen.
Wer sich richtig reinhängen will, kann sogar beides auf einmal tun. Oder wenigstens abwechselnd. Und ohne dabei zu vergessen, wie das früher mal hieß oder damals war, als die Sprache noch war, was die Sprache damals war. So läuft das mit der aktiven Sprachschatzmitbestimmung.
Lieber ungefakt gedislikt als ungefeedbackt ins Bett
Zurück in die harte Gegenwart: Faken und liken sind mittlerweile in den Duden eingezogen. Doch die armen, arglos gezeugten und schief gewickelten Jungwörter sind im Wörterbuch noch nicht richtig angekommen. So präsentiert der Duden zwar „gefakt“ als korrektes Perfekt, aber schön ist anders, und „liken“ steht noch ganz ungebeugt da. Schwaches Verb; Perfektbildung mit „hat“ … aber heißt es jetzt gelikt oder geliked? Für mich sieht vor allem das Wort „gelikt“ aus, als hätte es einen Schuh im Arsch, aber wenn „gefakt“ schon richtig ist, wird sich der Duden wohl auch bei liken für die Perfektbildung mit -t entscheiden. Und wodurch, wenn nicht durch schiere Gewöhnung, soll die je besser werden?
Es nützt ja nichts, wenn Sprachexperten zu dem Schluss kommen, der Wortstamm von liken sei „lik-“ und der von faken „fak-“. Das ist doch total random und sowas von Lutherbibel. Die richtige Aussprache („laik“ bzw. „fäik“) ergibt sich durch die englische Endung (das e). Wenn das in der offiziell eingedeutschten Version fehlt und ich trotzdem nicht „gelickt“ und „gefackt“ sagen soll, muss ich beim lauten Lesen eine Extrawurst denken, bis ich mich gewöhnt habe – nur weil ich irgendwann mal die englischen Ausspracheregeln verinnerlicht habe. Wäre das nicht so ein Erste-Welt-Pussyproblem, könnte es glatt als Ungerechtigkeit durchgehen.
Zum Glück geht das Gewöhnen an seltsame Wörter bei mir pronto rapotti. Dasselbe trifft auf das Denken von Extrawürsten zu: Manchmal hab ich mir schon gewünscht, das Geradeausdenken wäre ebenso einfach. Und zum Glück sind auch längst nicht alle dieser neo-neo-postgrammatischen Denglischkonjugationen gemein zu mir. So kommen etwa gepusht, gedopt und gedisst sowohl der englischen als auch der deutschen Aussprache entgegen. An ein ganzes Rudel standardscheußlicher Perfektbildungen – darunter gescannt, outgesourct, geskypt, gesurft, designt, downgesizt, gemanagt, geblufft, downgeloadet und sogar gedownloadet – hab ich mich schon vor so langer Zeit gewöhnt, dass ich mich an den Gewöhnungsprozess nicht mehr erinnere. Recycelt ist genauso richtig wie recyclet, und gestylt kann ich beugen, wie ich lustig bin, denn dabei hat der Duden genauso geschlampt und overstyled mit -ed geperfectbuilt.
Das hat er jetzt davon.
Bei nichtamtlichen Grammatikperlen wie gefeedbackt, retrogepierct, bodygebuildet, gegoldenshowert, gedownhillt oder gefangirlt helfen Niedlichkeitsfaktor und Überraschungsmoment, und überhaupt ist das Verbenbeugen auch als Volks- und Breitensport zu sehen: Es geht nicht darum, wer als Erster Gorch fock oder wer das letzte Wording hat. Dabeisein ist alles. Wenn die Muttersprache keine Zeit mehr zum Spielen hat, kann das doch nur bedeuten, dass der Weltuntergang bevorsteht.
Und was ist, wenn man seriös wird?
Bei Gebrauchstexten, die Nutzwert haben müssen, sind solide Bezüge gefragt, sonst wird das nichts mit dem Wiedererkennungswert. Um nah am Thema zu sein, gucke ich nicht das nackte Thema an, sondern auch die Sprache, in der es wohnt und in die es sich kleidet, wenn es schick ausgeht oder auf dem Sofa liegt. Dasselbe gilt, wenn ich nah am Leser sein will. Ich kann nicht an dessen Sprache vorbeischreiben, um schneller ans Ziel zu kommen. Nonverbale Kommunikation gibt es zwischen Schreiber und Leser eben nicht – obwohl ein VHS-Kurs mit Namen „Sprachüberwindendes Schreiben“ sicher auch Interessenten fände.
Wenn die Zielgruppe also auf seltsame Wörter steht und dazu wundersame Vorstellungen hat, dann muss ich das als Schreiber ja wohl auch dürfen. Immerhin bin ich kein Sprachreinhalter, sondern Dienstleister. Wenn ich die Wörter vorher noch nie gehört habe, mache ich mich vor dem Schreiben damit vertraut, indem ich dort herumlese, wo sie schon wohnen oder zwanglos beieinanderstehen. Und jetzt kommt’s: Mit Hilfe meiner faustdicken Ambitionskompetenz mach ich das nicht nur, bis ich alle neuen Wörter kapiert habe, sondern hänge – ich muss verrückt sein! – noch diese fünf Extraminuten dran, damit sie sogar normal aussehen und klingen! Das gehört zu meinem Beruf, aber vor allem macht es Spaß, weil es zum Spiel gehört.
Content muss auch mal im Titel vorkommen
Schreibe ich über Content Management, ein stabiles Trendthema, schreibe ich nicht Inhaltsverwaltung, Inhaltsbewältigung oder Content Handling. Sonst könnte ich auch gleich Inhaltsüberwindung oder Schokokeks schreiben. Im Content-Kontext (bei internationalen Worthochzeiten sitzt mir der Bindestrich viel lockerer) schreibe ich auch nicht Nutzwert wie vorhin mal, sondern Mehrwert. Denn wo Inhalte Content heißen, brauchen sie Mehrwert, weil die Wörter Content und Mehrwert miteinander verheiratet sind. Ich hab sie nicht getraut, und gefragt hat mich auch keiner, aber warum sollte ich ihnen die Scheidung einreichen, wenn sie sich doch liebhaben? Stattdessen gewöhne ich mich einfach beizeiten daran, dass die beiden jetzt bei jeder Party zusammen aufkreuzen.
Faszinierend ist auch der IT-Kontext. In dem haben wir schon viel Content verfasst, und da gehen Wörter als Informationsträger durch, die würden woanders als Buzzwords oder Bullshit auf der stillen Treppe landen. Kein Schreinermeister würde mir erzählen, er wolle Prozesse verschlanken, Komplettlösungen implementieren oder die Verfügbarkeit der operativen Systeme optimieren. In der IT sind viele konkrete Leistungen fest mit solchen Begriffen verbunden und bedeuten zumindest für Eingeweihte tatsächlich etwas, das ohne die gängigen Halb- und Vollanglizismen viel komplizerter auszudrücken wäre. Während irgendeiner Arbeit zwischendurch auf irgendwelche Kontrollanzeigen zu gucken, ist nicht automatisch eine proaktive Überwachung der Monitoring-Schnittstelle. Ein Wort wie „proaktiv“ kann sich ohnehin in keiner anständigen Schreinerei blicken lassen und würde selbst aus ländlichen Diskotheken lange vor Mitternacht hinausgekehrt. Doch bei Onkel Duden darf es trotzdem wohnen, und im businessdeutschen Streichelzoo ist es eins der Flauschigsten.
Du und Dein Duden!
Ich mag den Duden. Der Duden ist Deutschs begehbarer Kleiderschrank. Und Deutsch ist eine alte … also, Deutsch ist schon ziemlich alt, und die Auswahl im Schrank ist riesig. Nicht alles passt jedem oder sieht zu jedem Anlass gut aus, aber für alles haben Leute mal einen vernünftigen Grund gehabt, und alle Nähte sind Made in Germany. So kann Jacke zwar nie Hose sein, aber wichtig ist doch, dass es richtige Schreibungen gibt und jeder weiß, wo er die nachlesen kann. So können wir zum Beispiel unseren Kunden versprechen, dass sie richtig Geschriebenes kaufen.
Wo der Duden Lücken lässt oder mehrere Alternativen bietet, kann ich jedem nur raten, sich für was Schönes zu entscheiden. Düdlicher als der Duden ist sowieso keiner. Hier kann ich zum Beispiel auch schonmal sowas schreiben, während Kunden so etwas schon einmal nicht von mir bekommen würden. Das ist auch schön, solange nur die Kommas richtig sitzen. Und wenn ich mal schlechte Laune habe, das Wetter keine Gartenarbeit erlaubt und niemand da ist, um mich zu bedauern, dann lese ich einfach den Duden. Das hilft.
Seztfehler meint
Köstlicher Artikel; spricht mir in vielem aus dem Herzen!