Schwestern und ihre Bücher
Männer und Frauen gehen uns alle an, und Literatur ist uns nicht gleichgültig. Wie kann es also sein, dass ich mir weder unter Frauenliteratur noch unter Männerliteratur etwas anderes vorstellen kann als Trivialromane und Groschenhefte, während andere Frauen erklären, Frauenbücher zu lesen und Männerbücher wieder wegzulegen, um in puncto Tiefgang als Frau auf ihre Kosten zu kommen? Was meinen die, was ich nicht kenne, wenn sie von Frauenbüchern reden? Und wieso haben die Männer, die doch sonst jeden Unfug mitmachen, keine Männerbücher? Was macht ein Mann, wenn er sich als Mann mehr Tiefgang wünscht? Liest er Frauenbücher? Oder können Männer auch ohne Tiefgang fröhlich sein?
Ich als Frau – wer ist das überhaupt?
Tatsächlich ist das Geschlecht zur Ermittlung des bedarfsgerechten Lesestoffs so nebensächlich, dass Trennkost hier nicht nur unsinnig, sondern gar nicht möglich ist. Das sieht man sofort, wenn man ein paar Leservorlieben und -abneigungen auflistet und statt dem vollkommen ausreichenden „Ich“ das bereits vorgebrachte „Ich als Frau“ voranstellt:
„Ich als Frau will Geschichten mit Tiefgang lesen.“
„Ich als Frau mag keine zu schwere Literatur.“
„Ich als Frau finde Partizipialkonstruktionen scheußlich.“
„Ich als Frau finde, Science Fiction muss auch wissenschaftlich fundiert sein.“
„Ich als Frau lege mehr Wert auf die innere als auf die äußere Logik der Handlung.“
„Ich als Frau kann dem Autor viel verzeihen, wenn ich mich in mindestens einem der Helden wiederfinde.“
„Ich als Frau will nichts über platzende Augäpfel, Zombies und Gedärme lesen.“
„Ich als Frau kann mit Trollen und Elfen nichts anfangen.“
„Ich als Frau brauche ein Happy End.“
„Ich als Frau stehe nicht auf pornografische Szenen.“
„Ich als Frau finde den Stil wichtiger als das Thema.“
„Ich als Frau finde das Thema wichtiger als den Stil.“
Alles gängige und nachvollziehbare Aussagen, in dieser Form jedoch eine Lachnummer.
Butter bei die Ische!
Bevor ich mich jetzt unbeliebt mache, indem ich der Spottlust nachgebe, die mich immer ankommt, wenn ich unzureichende und dümmliche Definitionen wie „Ich als Frau“ lese, habe ich heute Morgen beim Einkaufen ein wenig Marktforschung betrieben. Ich war in drei Buchläden und habe, da ich keine Rubrik namens „Frauen“ oder „Männer“ fand, explizit nach Frauenromanen gefragt und außerdem darum gebeten, mir etwas zu empfehlen, das „mir als Frau“ gefallen könnte. Sofort war heitere Stimmung.
Das gebe es nicht, wurde mir erklärt. Es gebe zwar „Gute Unterhaltung“, die allerdings von beiden Geschlechtern gern gelesen werde, und außerdem könne man durchaus sagen, dass dicke Liebesromane eher von Frauen und Kriegsromane eher von Männern gelesen würden, aber dieses „eher“ bedeute eher ein Verhältnis von 70:30 oder 80:20, und kein dem Fachpersonal bekannter Verlag wäre so doof, mit solcherart geschlechtlichen Voreinschränkungen Leser abzuschrecken oder Umsätze zu verhindern.
Schon gar nicht würde ein ernstzunehmender Verlag das Werk eines Autors wegen „zu viel Tiefgang“ ablehnen. Eine so formulierte Absage sei vielmehr für alle Beteiligten schonender als „Ihr Buch passt nicht in unser Programm“, „Ihr Buch wird keiner lesen“ oder „Ihr Buch ist schlecht“, denn sie führe seltener zu gebrochenem Herzen und unerwünschter Korrespondenz.
Natürlich bleibe bei allen Zahlen, Statistiken und Denkspielen zu berücksichtigen, dass Frauen generell mehr Bücher kauften (also wahrscheinlich auch mehr läsen) als Männer.
A bis Z für Krethi und Plethi
Meine Welt ist also nach wie vor in Ordnung. Sinnvoll (und daher auch vorhanden) ist eine Vorsortierung in Rubriken wie „Spannung“, „Fantasy für Erwachsene“ „Fantasy für Jugendliche“, „Biografien“, „Krimi“, „Regionales“, „Ratgeber Haushalt“, „Ratgeber Gesundheit“, „Science Fiction“ etc. Ebenfalls sinnvoll ist es, Neuerscheinungen auf einem separaten Stapel anzubieten oder sehr beliebten Trends („Vampire“) ein eigenes Regalfach freizuräumen. Einen Großteil der Wand regierte die Rubrik „Romane A-Z“. Bei „Gute Unterhaltung“ fand ich ein Potpourri bekannter Verlage (dtv, rororo, Fischer, Bastei-Lübbe et al.) und Genres vor.
Man kann ja (ohne zu werten) sagen, dass jede Vorsortierung eine Reduzierung darstellt, die es dem Leser leichter machen soll, ein Buch zu finden, das ihm gefällt. So ist der „Gute Unterhaltung“-Stapel horror- und pornoreduziert (ein bisschen Sex und Gewalt sind hingegen okay, wo sollten die sonst mit den 50 Shades of Grey hin?), das „Historik“-Regal raumschiff- laserschwert- und cyberspacereduziert und die „Science Fiction“-Ecke elfen- und zwergreduziert (vor allem, seit es so viele Fantasy-Ecken gibt).
Es existiert jedoch kein sinnvolles Reduzierungskriterium für Frauen oder Männer, da es auch keine sinnvollen Extrawürste für Frauen oder Männer gibt (mehr Liebe, mehr Sex, mehr Action, mehr Tiefgang, mehr Ernst, mehr Humor, mehr Leichtigkeit etc. wollen nämlich alle). Bei der Unterhaltungsliteratur (in Abgrenzung zum Fachbuch/Ratgeber) gibt es ganz einfach keine Frauen- oder Männerthemen, sondern nur die unterschiedlichen Vorlieben, Bedarfe und Grenzen von vielen, vielen Lesern.
Nur weil ich bartwuchsreduziert bin, brauche ich mich noch nicht zu den Spar- und Schonlesern bzw. ‑schreibern zu gesellen oder mir sonstwie eine geistige Diät aufzuerlegen. Als Frau kann ich alles lesen und schreiben, was mir schmeckt, ohne ein Gramm zuzunehmen oder meine Strümpfe zu zerreißen. Als erfahrene Frau traue ich dasselbe den X-Chromosom-Reduzierten zu – und bin sogar der Meinung, damit einen gewissen Beitrag zu irgendwas geleistet zu haben, auf das ich stolz sein kann.
Mädels, Märkte und Moneten
Natürlich sehen Verlage den Markt an und setzen auf aktuelle Entwicklungen, Prognosen, Statistiken, Trends etc. Außerdem müssen sie entweder auf ein gut ausgewogenes Angebot oder auf zum Programm passende Bücher achten. Aus den o. g. Gründen kann es aber keinen Trend zu Frauen- oder Männerbüchern geben. Allenfalls gibt es Verlage, die sich eine Nische suchen, indem sie etwa „Frauenbücher“ anbieten und hoffen, damit mehr Frauen anzulocken als Männer abzuschrecken.
Wird ein ernstzunehmender bzw. betriebswirtschaftlich relevanter Trend erkannt, etwa „Vampire“, stecken zudem oft die Mädchen und jungen Frauen dahinter, denn die lesen am allermeisten und brauchen oft gar nicht viel zum höchsten Glück, denn „der Rausch ist ja schon in ihnen, ehe sie getrunken“ (geklaut von Stefan Zweig). Darum steht der hartnäckige Begriff „Frauenliteratur“ leider nicht für Tiefgang oder Charakterentwicklung, sondern eher für Leichtes und Seichtes zur Versorgung einer großen, nimmersatten und vergesslichen und darum sehr aktiven, aber anspruchslosen Zielgruppe. Das könnte mich als Frau glatt ärgern, wenn es mir nicht schon drei Kilometer vorher als Leser, Kunde und Mensch, der noch nicht gefrühstückt hat, egal wäre.
It ain’t me, babe
Wer vorkauen und vorkosten lässt, dem wird natürlich vorgekaut und vorgekostet. Auch Literatur. Dann darf er Schonkost und Sparkost lesen, die ihm vor allem Überraschungen erspart. Wer sich bei der Buchauswahl nur an Genres, Untergenres, Programmen, Listen oder Klappentexten orientiert, ist bei der Erweiterung seines Horizonts und beim Ausloten seines Geschmacks viel mehr auf Zufälle angewiesen und tut sich schwerer damit, genreübergreifende bzw. nicht klar zuzuordnende Bücher und Autoren (unter denen sich viele der Besten tummeln) kennenzulernen und liebzugewinnen.
Da es keine expliziten Frauenunterhaltungsthemen gibt, entspringt meine Langeweile, wenn ich „Frauenbuch“ höre, mitnichten meinem Desinteresse für bestimmte Themen, sondern meinem Unwillen, bei Vorkau- und Reduzierungsmaßnahmen mitzumachen, die den Weg zwischen mir und den Büchern, die mir gefallen möchten, nicht ebnen, sondern unnötig verkomplizieren. Außerdem gehen mir Frauen auf den Keks, die glauben, es bereichere ihr Leben oder treibe irgendeine Art der Emanzipation voran, sich freiwillig gemeinsam in irgendwelche Ecken zu stellen und damit deren Namen und Existenz zu begründen.
Gegen Leute, die irgendwas aus irgendwelchen Gründen lesen oder weglegen, habe ich hingegen nicht das Geringste. Bei denen kann wenigstens jeder mal mitmachen.
Schreibe einen Kommentar