Drei Tage Steinzeit
Neulich war unser Internet kaputt.
An tägliche Ausfälle sind wir hier gewöhnt und wurden erst nach fünf Minuten panisch. Zum Glück können wir jederzeit die Service-Hotline der Telekom beheizen, deren Kostenlosigkeit und Effizienz nicht hoch genug gelobt werden können.
Unter ferngesteuerter Oberaufsicht drückten wir noch einmal auf alle Routerknöpfe und durften sogar eine Zeile des Protokolls verlesen.
Beim letzten Test brach die Telefonverbindung zusammen, aber damit hatte der Hotlinemann gerechnet und rief zurück, um uns mitzuteilen, das Internet sei wegen Wartungsarbeiten kaputt bis nach dem Frühstück.
Um uns nicht unnötig aufzuregen, schliefen wir bis nach dem Frühstück. Trotzdem funktionierte das Internet immer noch nicht.
Jetzt wurde Aufregung nötig: Fertige Texte konnten nicht versendet, Kunden nicht erreicht und Post nicht gelesen werden. Mein Mann klemmte sich den Router unter den Arm, belud einen USB-Stick und ging zum Nachbarn, dessen Internet tadellos funktionierte. Er hielt unsere Termine ein und konnte den Router als Ursache der Störung ausschließen.
Bis er zurückkam, hatte ich herausgefunden, dass die Telekom vier Wartemusiken im parallelen Einsatz betreibt, darunter eine, die ich seit Jahren nicht gehört und viel kürzer in Erinnerung hatte.
Bis wir einsahen, dass sich aus unserem Kundenvertrag kein Anspruch auf vorzügliche Sonderwartung herleiten lässt, ward es Morgen und Abend.
Der zweite Tag
Die Kinder fanden viel Zeit für Beschwerden, die sie in kurzen Abständen und klaren Worten vorbrachten. Die Rechner waren untot, die Schreibtische Sackgassen, und schuld waren wir, denn wer sonst würde einen Router erst zerstören und dann dem Wochenende in die Schuhe schieben?
Das Wort „Steinzeit“ stand im Raum und konnte nicht entkräftet werden.
Ich hörte mir noch einmal alle Warteschleifen an und gab der Computerfrau absichtlich falsche Antworten. Als sie mich aufforderte, alle Knöpfe am Router zu drücken, konnte ich nicht gehorchen, weil ich nicht wusste, wo der Router war. Ohne Internet krochen wir in unsere Höhle, drängten uns auf dem kalten Fels aneinander und zogen uns das wurmige Bärenfell über die Köpfe, um Wölfe, untotes Mondlicht und andere Spawner fernzuhalten.
Am Morgen ward der dritte Tag …
… und verfinsterte sich zeitnah durch die Unfähigkeit eines heutigen Teenagers, das Telefonbuch zu lesen.
Eine längst fällige Nachschulung wurde mit Verweis auf die Evolution abgelehnt. Das Offlinetelefonat fand im abgesicherten Modus mit Eingabeaufforderung statt und erlaubte einen Austausch über die Unmöglichkeit der Offlinetelefonie.
Ein Techniker kündigte sich für den nächsten Morgen an. Wir packten den Kindern ein paar Sachen zusammen und warfen sie aus der Wohnung, damit sie sich in Sicherheit bringen konnten.
Auf vereinsamten Rechnern …
… schrieben wir uninspirierte Texte und legten sie aufs Eis untoter Festplatten. Pro Minute verloren wir bis zu fünf IQ-Punkte. Beim Versuch, die bis zur Demenz verbleibende Zeit durch Analogrechnung zu bestimmen, brach der Bleistift durchs Papier, blieb in meiner Kniescheibe stecken und löste dort einen epileptischen Anfall aus.
Stundenlang stand ich unter der kalten Dusche und sang einen Namen vor mich hin, den ich für meinen eigenen hielt. Mein Mann weichte die letzten Gummibärchen in Kaffee ein und bedeckte damit seine Chakren, um die Nacht zu überstehen.
Vierter Tag, im Morgengrauen
Der Techniker traf ein. Er zog seine Schuhe aus, trank einen halben doppelten Kaffee und hielt sein magisches Flötgerät an alle Kabel der Wohnung. Dann zog er seine Schuhe an, ließ sich von mir in den Keller führen, erbrach den historischen Telefonkasten mit seinem Schraubenzieher und hielt sein magisches Flötgerät in die Nähe des aktuellen Rohrbruchs.
Er folgte mir zurück in den zweiten Stock, zog seine Schuhe aus und trank die zweite Hälfte seines doppelten Kaffees. Er erklärte mir, wo in der Nachbarschaft er jetzt ein Kabel umerziehen müsse, zog seine Schuhe an, verließ die Wohnung und gab drei Minuten später telefonisch die Erfolgsmeldung durch.
Danach …
… hätte er eigentlich nach Hause fahren können, aber er kam noch einmal zurück, um sich für den Kaffee zu bedanken und persönlich die Wiedergeburt unseres Routers zu überwachen.
Während die Lichter sich einblinkten, erklärte er mir die Funktion seines magischen Flötgeräts. Erst konnte ich nur lauschen, aber schon bald fühlte ich mich leise mitdenken, und schließlich wagte ich sogar, den Bleistift aus meiner Kniescheibe zu ziehen und mir Notizen zu machen.
Die habe ich zwar bis heute nicht im Internet nachgeschlagen, aber ich weiß, dass ich es könnte, und will damit zufrieden sein.
Skraave Winskel meint
Bald ist Jahrestag. Dann erscheint das Internet wie vernebelt, in den Augenwinkeln verlöschen „DSL“- und „Online“-LEDs wo keine sind, die alte Kniescheibe brennt wie eiskaltes Feuer, und nur die stoische Ödnis des Freizeichens, ans Ohr gepreßt, vom Ohr umklammert, kann mit ihrem Charme eines gutmütigen Beamten Linderung verschaffen.