Frau Praetorius und die ausgebliebene Antwort
Das Dramolett zum Schlafdefizit
Personen:
Frau Praetorius
Der Beleuchter
Der Besorgte Bürger
Der Dunkle Fremde
Die Inhouse-Redaktion
ein ertappter Mann
ein lustiger Zeitgenosse
zwei Passanten
die Frau aus der Menge
ihr Mann
die Stimmen
Ort: ein kleines Theater
Zeit: genug
Frau Praetorius betritt die Bühne, um was zu erzählen. Die anderen auch. So bleibt das bis zum Schluss, nur ein Herr kommt weg.
Frau Praetorius (nervös)
Dreimal ist jetzt schon nichts passiert!
Normalerweis’ passiert doch was, nichts Schlimmes, einfach irgendwas –
Beleuchter (schleppt eine große, schwere Wackellampe mit schmutzigem Metallgehäuse)
Tschuldigung, ich muss hier mit der Lampe vorbei, die wiegt vierzig Kilo, und Sie stehen da und kommen nicht zum Punkt.
Frau Praetorius (geht ein paar Schritte zur Seite)
Sehn Sie’s halt ein, es ist absurd!
Beleuchter (gibt ihr ein rotes Wollknäuel)
Schaun Sie mal, könnte das Ihnen gehören?
Frau Praetorius (nimmt das Knäuel und zieht ein rotes Fadenende heraus)
Zweimal frag ich am Telefon, und zweimal werd ich überhört.
Dann schreib ich meine Frage halt, doch wieder keine Antwort – nichts,
Dabei war meine Frage doch so leicht und so normal!
Dass mir da keine Antwort wird – muss ich das philosophisch sehn?
Wie einfach muss die Frage sein, dass keine Antwort nötig ist?
Rein wissenschaftlich gibt’s das nicht, dass ich so ohne Antwort bin.
Doch ist es schon dreimal passiert, und dann auch noch am Telefon!
Besorgter Bürger (benutzt seinen Regenschirm als Spazierstock)
Halt doch, Halt! Jetzt lasst doch die arme Frau zu Wort kommen! Wie kann sie denn bei diesem Lärm eine Geschichte erzählen? Kein Wunder, dass sie schon ganz wirr im Koppe ist!
(Er sieht sich um. Es ist totenstill im Raum. Er zuckt die Schultern.)
Stimme aus der Menge
Recht hat er! Ganz genau! Ist ja schon peinlich, wie wir uns benehm‘! Als gäb‘s kein –
Dunkler Fremder (tritt aus dem Dunkel, laut)
Schweigt!
Schweigt alle! Schweigt und windet euch!
Ein glitsches Knäuel aus Murmelwürm‘, nichts weiter, gar nichts seid ihr doch!
Blickt auf und seht, nein, schweigt und horcht,
Nein, du da, sag! Was siehst du dort?
Und das da, zeig! Was hast du da?
Ertappter Mann (blickt sich irritiert um)
Ich bin entdeckt, entdeckt bin ich!
Die Mutter hat’s vorhergesagt: Mein Sohn, du wirst zu leicht entdeckt!
So du schon sitzest, lern das Wort, das späterhin dir helfen kann:
Der reine Spaß am eignen Schoß …
Lustiger Zeitgenosse
… macht Muschis nass und Pimmel groß!
Ertappter Mann (traurig)
Nein, das war wichtig, und jetzt ist es weg.
Lustiger Zeitgenosse
Morgen! Das gäb’s kein! Morgen meint er natürlich.
Besorgter Bürger (späht in den Zuschauerraum)
Wo ist er hin? Der Mann hat hier als einziger Zivilcourage bewiesen!
Jetzt isser weg! Das geht doch nicht!
(Beifälliges Gemurmel)
Stimme aus der Menge
Recht hat er! Ganz genau! Wie peinlich!
Passantin (rückt ihr Hütchen zurecht)
Das ist der Herrenüberschuss.
Es passt doch keiner mehr drauf auf, da kommen ständig welche weg!
Was machen wir, wenn das der letzte mit Zivilcourage war?
Frau Praetorius (murmelt in sich hinein)
Es ist ja nichts passiert. Ich glaub, der hat auch nichts gemacht.
Dass ich auf so normale Fragen dreimal keine Antwort krieg, und dann auch noch am Telefon,
Das ist so derart unwahrscheinlich …
Also, statt einer Antwort oder einem plausiblen Grund hätte er mir ja auch eine elegante Ausrede servieren können.
Oder einfach irgendeine, wär das schon zuviel verlangt?
Mann aus der Menge (packt einen Glückskeks aus, knackt ihn und liest vom Papierchen ab)
Hier: Um sowas kümmert sich der Content Manager.
Frau aus der Menge (knackt ebenfalls einen Glückskeks und liest vor)
Hier: Unsere Inhouse-Redaktion steckt bereits mitten in der Planung.
Inhouse-Redaktion (dreistimmig)
Oh ja, wir stecken obenrum seit Wochen in der Planung!
Wir stecken alle so tief drin, seit Wochen schon, seit Wochen!
Frau aus der Menge
Wer so tief in der Scheiße steckt, der kann doch gar nicht planen!
Mann aus der Menge
Wer so tief in der Planung steckt, der kann auch nicht mehr scheißen!
(Sie feixen und geben sich eine Ghetto-Faust)
Passant (klaubt einen Köttel vom Boden auf und betrachtet ihn)
Die Scheiße sieht auch komisch aus.
So niedlich, ist das noch normal?
(Er hält den Köttel ins Licht und schaut grübelnd darauf)
Inhouse-Redaktion (dreistimmig)
Na, unsre Scheiße ist es nicht! Und unsre Planung auch nicht! So riecht nur Scheiße, die noch in den Kinderschuhen steckt!
Fremder (tritt aus dem Dunkel ins Licht)
Ihr Schnüffel! Hört mein Rätsel an! Wer dieses Rätsel lösen kann,
Soll Schätze über Schätze und auch all mein Gold gewinnen!
Hier ist das Rätsel, aufgepasst:
(langsam, mit tiefer Stimme)
Einer steckt in der Planung. Einer steckt in der Scheiße. Und einer steckt in den Kinderschuhen.
Na, was ist das?
Mann aus der Menge
Soziologie!
Frau aus der Menge
Verarsche!
Mann aus der Menge
Die drei Lebensalter des Mannes!
Frau aus der Menge
Jetzt weiß ich’s: Das ist eine Metapher!
Fremder
Bravo! Bravo! Fabelhaft!
Noch nie hat jemand mein Rätsel gelöst.
Du wirst Schätze über Schätze gewinnen! Ach ja, und mein Gold …
(Er blickt die Frau lüstern von der Seite an)
… kriegst du jetzt gleich, wenn du dich traust!
Frau aus der Menge (zu Frau Praetorius)
Ich brauche eine Ausrede.
Frau Praetorius (zieht einen Glückskeks hervor, zerbricht ihn, zieht den Zettel heraus und liest)
Komplexe Aufträge vergeben wir aus Prinzip nur an Freelancer aus der Region, die bereit sind, bei Stromausfall vor Ort zu erscheinen und das Ende händisch nachzutragen.
Frau aus der Menge
Oder ich sag einfach, ich steck noch in der Planung.
Frau Praetorius
Ja, die ist gut, sehr gut sogar.
Aber weißt du, was ich auch gut fänd? Was ganz Ehrliches, zum Beispiel:
(Sie wendet sich an ihr imaginäres Spiegelbild)
Frau Praetorius, Sie sind einfach zu teuer!
(Zustimmendes Murmeln, gedämpftes Lachen)
Frau aus der Menge (fröhlich)
Frau Praetorius, Sie sind aktuell komplett unmöglich, aber wir würden gern in unbestimmter Zeit auf Sie zurückgreifen.
Mann aus der Menge (mit übertriebenem Pathos)
Oh, Frau Praetorius, hier sind Sie ja völlig falsch rausgekommen.
Frau aus der Menge (mit gespielter Entrüstung)
Frau Praetorius! Sie sind viel zu spät, aber ich habe Sie trotzdem notiert!
Mann aus der Menge (blickt betont kummervoll)
Tut mir leid, Frau … äh … ich kann das leider nicht selbst entscheiden, aber beim Self-Deciding ist jetzt natürlich keiner mehr.
Frau aus der Menge
Hier! Hier!
(Sie glättet ein Glückskekszettelchen und liest mit getragener Stimme vor)
Wir setzen bei komplexen Themen nur noch auf KI.
Dafür bezahlen wir schon jetzt zwei Prompter, einen Teleprompter
Und den ollen Fernschreiber.
Mann aus der Menge
Ich stecke seit Jahren in der Planung.
Frau Praetorius (aufgeregt)
Und ich, ich hab schon ewig keinen Text mehr korrigiert.
Lektorat ist out. Schreibt ja keiner was. Alle Literaten sind schon tot, dement, bankrott!
Oder korrigieren sich umsonst beim Übersetzen …
(in eindringlichem Ton)
Selbst mein Patenliterat, der kleine, niedliche Poet,
Der niemals etwas wollte als nur schreiben, schreiben, schreiben,
Vielleicht ein bisschen Friedhof gucken, ab und zu mal Kuchen,
Der hängt jetzt auch den ganzen Tag beim Übersetzer rum.
Schon morgens Synonymtausch, Griechisch hin und Baltisch her,
Von Mixolydisch über Schwedisch nach Französisch und zurück,
Und immer hin und her und rum und num und dran und durch, und alles kostenlos!
Wer braucht noch Poesie, wenn’s Übersetzung gibt?
Fremder (tritt aus dem Dunkel ins Licht)
Wie traurig ist die Dichtkunst, wenn sie keinem Menschen fehlt?
Was haben die Poeten nur getan, dass soviel Schmach an ihren zarten Fingern und gelockten Häuptern klebt?
Frau Praetorius
Da fragst du noch, mein Freund? Die Synonymgier war’s.
Stets suchten sie das unbekannte Wort, um damit das bekannte zu ersetzen.
Sie plünderten, versteigerten und horteten die Worte,
Die Sprache war ihr Jagdrevier, die Dichtkunst ihr Tresor,
Bis Gratis-Übersetzer Sprache wieder billig machten
Und der Synonymmarkt über Nacht zusammenbrach.
(Sie liest aus einer Broschüre vor)
Heute stellen kostenlose Übersetzer laufend neue Synonyme her. Die meisten
bieten zudem verschiedene Glücksspielfunktionen, Wellnessanwendungen und
automatisierte Beratungsleistungen.
(energisch ins Publikum)
Ja, und mein Verleger – richtig schlimm, ganz schlimm.
Einmal, weil Verlag … da hab ich Vorurteil!
Aber die meisten haben sich ja sowieso schon vor längerem von ihren Verlagen und öffentlich-rechtlichen, grüngesteuerten und zwangsbekifften Linksschreibregeln abgewendet. Das hat doch schon während der Pandemie
angefangen, kurz nachdem der Duden für liken und faken jeweils zwei mögliche Perfektbildungen erlaubt hat, während Haben und Sein zusammen nicht mal mehr auf eine kommen! Glaubt mir, das hat das deutsche Volk in hohem Maß verunsichert; ich sehe darin einen der wichtigsten unbewussten Nebenkriegsgründe!
Besorgter Bürger (mit erhobenem Zeigefinger)
Jetzt sagen Sie aber sofort, dass das nicht wahr ist.
Frau Praetorius (leise, wie zu sich selbst)
Ja nee, überall ist die Kacke am Dampfen. Aber so einen Berg Textüberarbeitungen, also da hätt ich echt mal wieder richtig Lust drauf.
Schreibe einen Kommentar