Hewlett Packard Fuzzy Logic
Früher gab es im Radio (SWR3) eine Serie namens „PC im OP“.
Der Aufbau der kurzen Hörspiele war immer gleich:
Irgendein Computer war kaputtgegangen. Zwei Protagonisten – Dr. Dos und Dr. Grün – waren für die Reparatur zuständig.
Einer fragte: „Was kommt rein?“, und der andere erzählte, nachdem er das Modell genannt hatte, eine lange und dramatische Geschichte zum Fehler. Dabei ging es auch um die Konsequenzen des Geräteversagens für die beteiligten Menschen:
Die Akte war nicht mehr zu finden, und der Prokurist wurde entlassen.
Der Anwalt ist nicht rechtzeitig erschienen, und ein Unschuldiger sitzt jetzt im Gefängnis. Eine Sekretärin erlitt einen Schwächeanfall und wäre fast aus dem Fenster gesprungen.
Die Hochzeit ist geplatzt, das Semester muss wiederholt werden … jedenfalls immer ein Riesendrama.
Und der andere Doktor unterbrach die Geschichte stets in der Nähe ihres Höhepunkts und sagte etwas wie: „Der Anwalt ist nur ein Mensch! Hier geht es um das Funktionieren eines Laptops!“
Dann kam der Computer in den Operationssaal:
„Heben wir ihn rüber – auf drei!“
Der eine Doktor erklärte, was er jetzt alles machen werde und was er dafür brauche, und außerdem wollte er immer noch eine Pizza oder ein Stück Kuchen oder irgendwas Seltsames ganz schnell gebracht haben, denn er habe seit soundsovielen Tagen nichts gegessen.
Schließlich wurde am Rechner operiert, und immer ging etwas Entscheidendes, das nicht näher definiert wurde, schief, woraufhin ein Doktor sagte: „Sorry … mein Fehler …“
Das Gespräch wurde immer hektischer und lauter, gefährliche Geräusche klangen durch, schließlich rief einer: „Wir verlieren ihn!“ – und dann war das „Düüü …“ der Flatline zu hören.
In diesem Moment kam Dr. Elch.
„Alles zurücktreten! Da kommt Dr. Elch!“
Dr. Elch stellte etwas Absurdes mit dem Rechner an, und das wurde kommentiert, etwa „Er macht eine rektale Internetlogopädie!“ oder „Er macht eine dreipolige Chipsatzoptimierung!“
Dann fuhr der Rechner hoch.
Einer sagte: „Puh, das war knapp“, und damit endete die Folge.
Daran hab ich gedacht, weil ich heute Nacht ein Notebook repariert habe. Ich weiß aber nicht, warum es jetzt wieder funktioniert. Dass es das tut, ist zwar erfreulich, aber wenn ich aus einem dieser komischen Computerfehler mal was lernen könnte, würde mich das auch nicht stören.
Was war kaputt?
Keine Ahnung. Aber es war ein Klassiker: Das Gerät (ein HP-Notebook) startete nach einem BIOS-Update nicht mehr. Der Bildschirm blieb schwarz, und wenn man die Tastenkombi zur BIOS-Notrettung ausprobierte, begann das Feststelltastenlicht zu blinken und hielt sich dran, bis man den Rechner wieder ausschaltete. Das Entfernen und Wiedereinbauen der Batterie half nicht, und ohne Anzeige gab es keine geschriebenen Fehlermeldungen.
Was sagte der Support?
Natürlich waren wir auf der HP-Seite und durchsuchten die Tabelle mit den Blinklichter-Fehlercodes. Unser Blinken war aber weder dort noch in der Betriebsanleitung aufgeführt.
Dann also Foren, in denen Leute das gleiche Problem gemeldet hatten.
Das Problem gab es häufiger, darum gab es auch sehr viele Lösungsvorschläge – und noch mehr Leute, die alle Optionen schon durchprobiert hatten und jetzt verzweifelten oder wütend waren, weil ihr Rechner immer noch nicht ging und niemand einen weiteren Rat wusste.
Besonders viel Mitgefühl hatte ich mit einem Menschen, der ganz allein einen Thread füllte. Zuerst hatte er nur die Symptome (die gleichen wie bei unserem Gerät) beschrieben und um rasche Hilfe gebeten. Weil sich keiner gemeldet hatte, fing er auf eigene Faust mit dem Werkeln an und schrieb von Zeit zu Zeit mit Akribie in den Thread, was jetzt schon wieder nicht geklappt hatte. Zwischendurch hatte er sogar versucht, den Rechner ohne Batterie, Festplatte und Speicherriegel zu starten.
Was taten die Nutzer?
Ich baute verschiedene Komponenten des Notebooks (Akku, Batterie, Speicher, Festplatte, Tastatur, WLAN) aus und wieder ein, wackelte an Kabeln, pustete über staubige Teile und verlor eine Feder, die um ein Schräubchen gewickelt war.
Christian probierte alle empfohlenen magischen Tastenkombinationen und überlangen Knopfdrücke – mit Blick auf die Uhr. Außerdem erstellten wir eine unfehlbare BIOS-Reparatur-Dateiprogramm-Dienstanwendung, die wir mit Hilfe eines flugs heruntergeladenen Steinzeit-Frameworks erst auf den Schreibtischrechner und dann auf einen bootfähigen USB-Stick speicherten, und gaben sie dem Patienten zu laden: Nichts.
Dann las ich in einem anderen Forum, man müsse die Batterie länger herausnehmen, um die Erinnerung des Rechners an das traumatische BIOS-Update zu löschen – am besten über Nacht. Das war die letzte Möglichkeit, und sie kam uns sogar gelegen, da wir mit unserem Latein und unserer Reparaturlust am Ende waren. Ich zerlegte das Notebook also noch einmal, lüpfte die Batterie aus ihrem winzigen Einschubfach, zog ihr Kabelchen ab, legte ein Blatt Papier auf die Baustelle und die lose Tastatur obendrauf.
Als das alles für die Wartezeit aufgestapelt dalag, sagte ich zu Christian: „Stell dir vor, im Internet war einer, der hat sogar versucht, seinen Rechner ohne Batterie zu starten!“
Darüber lachten wir dann ein bisschen – wie Leute eben lachen, wenn ihnen das jetzt auch egal ist.
Ich drückte zum Spaß auf den Startknopf, wobei die Tastatur verrutschte und sich zwischen irgendwas verkeilte.
Dann wendeten wir uns ab, und hinter unserem Rücken ging der Rechner an und funktionierte wieder.
Sogar das BIOS-Update war da.
Wieso geht das?
Keine Ahnung. Ich könnte Google fragen, aber warum? Beim nächsten Fehler klappt das sowieso nicht nochmal.
Es ist jedes Mal dasselbe:
Planloses Gefummel, und irgendwann geht es wieder.
Wichtig ist nur, immer weiterzufummeln. Ganz stur. Bis das letzte Teil befummelt und die letzte Lösungsidee ausprobiert ist.
So habe ich schon viele Computerprobleme behoben. Aber nie fühlt es sich an wie eine erfolgreiche Reparatur, und nie werde ich dabei schlauer.
Vielleicht werden Menschen, die beruflich Computer reparieren, aus Computerfehlern schlau. Weil sie ausgebildet, kompetent und befugt sind und diese Technik durchschauen. Vielleicht begegnen sie sogar dem gleichen Fehler ein zweites oder drittes Mal und lernen daraus Fachliches und Sachliches für die nächste Wiederholung. Oder sie werden nur deshalb immer schneller und sicherer, weil sie mit jedem neuen Fall mehr Fummelroutine gewinnen und sich während der Arbeit konsequent von Betriebsanleitung, Internet, Telefon, Naturgesetz und anderen Zeitfressern fernhalten.
Was lernen wir daraus?
Keine Ahnung. Ich merke beim Computerfummeln jedes Mal, wie meine anfängliche Ratlosigkeit sich immer weiter vertieft und ich während der Arbeit Wissen verliere, was eigentlich gar nicht möglich ist – vor allem dann nicht, wenn man schon ohne Wissen angefangen hat.
Wenn der Rechner wieder funktioniert, habe ich üblicherweise das Höchstmaß (oder den unteren Totpunkt) meines Unwissens erreicht und fühle mich, als hätte ich noch nie etwas gewusst oder getan und könnte auch nie mehr etwas lernen. Das geht aber wieder weg, wenn ich esse, schlafe, rede oder schreibe.
Außerdem wurde ich gelobt:
Dass ich mich damit überhaupt beschäftigt habe!
Dass ich dazu die Geduld aufbringen konnte!
Wie oft ich das alles befummelt, aufgeschraubt, zugeschraubt, umgedreht, ausgebaut, weggelegt, wiedergefunden und eingebaut habe!
Ohne es kaputtzumachen!
Diesmal war das Lob besonders saftig, da es sich auch noch um ein Notebook handelte.
An sowas hatte ich nämlich noch nie gefummelt, und das Gefummel war von der schlimmsten Sorte: Jedes Bauteil in diesem Gerät wurde zum Geknicktwerden, Abreißen, Herunterfallen und Verlorengehen gemacht. Das konnte ich beim Anfassen deutlich fühlen.
Hätte der Hersteller nicht schon vorher gewusst, dass er daraus ein Notebook bauen kann, wäre er darauf sicher nie gekommen.
Immerhin wollte ich lernen, was „Fuzzy Logic“ eigentlich bedeutet. Ich dachte, das könnte ich mir schnell anlesen, aber Pustekuchen: Das erfordert jede Menge Hintergrundwissen.
Allerdings habe ich mein Halbwissen erweitert und werde, wenn ich das nächste Mal jemanden „Fuzzy Logic“ sagen höre, ganz locker anmerken, das würde ich eher als mehrwertige Logik bezeichnen, die beiden Begriffe würden ja gern mal verwechselt.
Wenn er dann wider Erwarten nachhakt, werde ich geheimnisvoll lächeln und fragen, ob er jemals einen Computer repariert hätte, ohne zu wissen wie.
Weiter ins Detail muss das Gespräch aber gar nicht gehen. Sonst gibt womöglich ein Wort das andere, und plötzlich erwähnt jemand im Nebensatz irgendeinen armen Dummkopf, der stundenlang an sämtlichen Bauteilen eines veralteten Notebooks gefummelt hat, weil er wahrscheinlich stehende Wellen mit angestauten Frequenzen verwechselt und darum nicht gewusst hat, dass man zum Beheben einer BIOS-Routinepanne den Rechner ohne Batterie einschaltet.
Dann könnte ich zwar noch lachen wie jemand, der solche Dummköpfe nur vom Hörensagen kennt, aber das müsste ich vorher üben.
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