Sechshändig perfekt
Mir war schon aufgefallen, dass aus den Kinderzimmern immer wieder dieselbe Musik zu hören war, meist durch geschlossene Türen. Vor ungefähr drei Wochen erfuhr ich im Vorbeigehen: Das ist die Tetrismusik. Sie hören immer die Tetrismusik zum Aufräumen, weil … und den Rest konnte ich mir denken und war sehr stolz auf die Kinder.
Als nächstes fand ich heraus, dass ich vor diesem Tag der letzte Mensch gewesen war, der die Tetrismusik hören konnte, ohne sie zu erkennen.
Kleckern mit Klötzen
Das einzige Tetris-Erlebnis, das ich aufweisen kann, gehört nicht zu den Kronjuwelen meiner Biografie:
Ein nächtlicher Langstreckenflug. Ich saß zwischen einem Schnarchenden und einem Furzenden eingeklemmt. Sechs Stunden lang stapelte ich Klötze auf einem winzigen Rückenlehnenbildschirm, aber ich wurde nicht besser. Musik gab es auch nicht, denn ich hatte die Kopfhörerchen im Fußraum verloren …
Die Kinder hören also die Tetrismusik zum Aufräumen.
Ich setze mich an den Flügel und spiele mit: Die Tetrismusik ist in A-Moll und eignet sich hervorragend zur Wiedergabe im Hackebrettchen-Stil. Leonie will das auch können: Ich soll ihr erstmal nur die linke Hand beibringen. Oder lieber die rechte, den Rhythmus kann ja nachher jemand anders machen, ich vielleicht oder Rose. Aber dann findet sie es peinlich, dass ich immer wieder ins Wohnzimmer gerannt komme, wenn sie einen falschen Ton anschlägt. Ich soll ihr lieber beide Stimmen gleich mal aufschreiben. In richtigen Noten auf Notenpapier, aber bitte ohne Bassschlüssel, denn Bassschlüssel ist doof und braucht keiner.
Im Notenschreiben bin ich eine Niete: Beim ersten Mal schreibe ich etliche verkehrt hin und muss beim Zuhören wieder dauernd rennen, um sie zu korrigieren. Der Radiergummi ist voller Tinte. Das Notenblatt wird immer schmuddeliger.
Rose kommt aus ihrem Zimmer und schimpft mit uns, weil sie schlafen will und wir nur Blödsinn machen und immer dann der beste Blödsinn gemacht wird, wenn sie schlafen soll. Eigentlich ist sie jetzt sowieso schon wach. Sie bleibt also noch ein Weilchen und lernt auch ein Stück Tetrismusik.
Jeder kann jetzt irgendwas davon, und ich darf den Rhythmus dazuhacken. Hackt eine daneben, fangen wir von vorne an. Bei so wenigen Takten ist ja praktisch überall vorne. Außerdem hat jede, die rausfliegt, eine faire Chance, die anderen wieder einzuholen. Wir kommen schon bald auf ein ganz ordentliches Tempo, es dürfte nur nicht immer wieder eine danebenhacken.
Mein Mann, der im Nebenzimmer juristische Texte verfasst und seinem gruseligen Radiosender zuhört, muss aufstehen und die Tür zumachen. Zweimal, denn beim ersten Mal geht die ja nie zu.
Was ich daraus gelernt habe:
Die Tetrismusik, sechshändig einstudiert und ohne Ankündigung im perfekten Hackebrettchen-Stil vorgetragen, wäre der Brüller auf jeder Party mit Klavier. Allein schon, weil sie jeder kennt! Und ausgerechnet ich konnte das vorher nicht wissen.
Leider will jetzt, da ich es weiß, keiner mit mir die Tetrismusik sechshändig perfekt einstudieren. Sie zum Aufräumen zu hören und zwischendurch ein wenig neben die Tasten zu hacken: Das ist den Banausen genug.
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