Wir sind umgezogen!
Familie, Mieze, Pflanzen, Fische und sämtlicher Zubehörkrempel sind zum ersten Mal seit August auf einer Baustelle vereint. Natürlich auf der schönen, denn da wohnen wir jetzt: Am Friedensplatz in Oberhausen.
Wir haben zwanzig Fenster, neunzehn Heizkörper, ein Extrabad für Teenager, sechs Sorten Boden, vier Wandschränke, ein geheimes Treppenhaus, zwei Stromkreise und eine neue Waschmaschine. Von unserem Büro zur Küche ist es ein Tagesmarsch. Das Staubsaugerkabel reicht immer nur für ein Zimmer.
In den Kellern können fünfzig Menschen tanzen. Die Wohnlandschaft ist wieder vereint. Gestern lief ein Gast an meinem Flügel vorbei, ohne ihn zu sehen. Sechs Menschen, die Monopoly spielen wollen, müssen sich nur noch für einen Tisch entscheiden. Im Wintergarten steht der Gefrierschrank und enthält Schokoladeneis.
Nur die Küche ist zu klein. Aber das ist sie ja immer.
Drei Jahre wohnten wir in einem Jammer- und Schimpfdorf und hatten richtig gute Zeiten. Es lohnt schließlich nicht, einen Ort bereits unerträglich zu finden, wenn noch zwei Jahre Mietzeit abzureißen sind. Oder noch eines. Oder ein halbes.
Ohnehin sind Klagen über Langzeitunerträglichkeit peinlich, weil Leute dahinterstecken, die logisch schwer einzuordnen sind, da sie irgendwie grausam zu Tode gefoltert werden, während sie vielleicht schon wieder so einen doofen Schnupfen bekommen.
Rheinhausen war uns bis letzte Woche höchstens mal zwischendurch ein doofer Schnupfen. Auf den letzten Drücker wurde es unerträglich.
Unerträglich waren:
– der Gestank aus der Imbissbude,
– der Gestank aus den Rohren,
– der Gestank im Bus,
– das Gewinsel der Matronen,
– das Gespucke der Jungmänner,
– die albernen Autos der Nachwuchsgangster,
– die lächerlichen Riesenmotorräder,
– die Kundgebungen für und gegen Rechts, Links, Aufstehen, Hinsetzen, Jesus, Allah, das Problemhaus und Duisburg,
– die Bäckerin mit der Gießkannenstimme und
– die Fehlalarmanlage des Einkaufszentrums.
Bestimmt hätten wir es dort nicht halb so lässig ausgehalten ohne:
– wahre Liebe,
– tollen Job,
– lecker Essen,
– Wochenmarkt mit Lieblingsbauer,
– Highlight in der Nachbarschaft,
– Mietbötchen am Töppersee,
– Fahrten an den Niederrhein,
– Pfefferminze auf der Terrasse und
– die zweite Hälfte von Breaking Bad.
In die alte Wohnung, die mir beim letzten Ausfegen so dunkel, eng, verbraucht und hässlich vorkam, schien die Sonne von vier Seiten. Wir hatten es gemütlich unter den Schrägwänden, auf dem Flügel konnte ich wunderbar Wäsche falten, und der Keller, in dem die zweite Hälfte der Wohnlandschaft und die Spielkonsolen standen, wurde im Winter wärmer als die Zimmer unterm Dach.
Was sind wir froh, dass wir da nie mehr hinmüssen.
„Tschuisburg“, sagte mein Mann, als er unseren schmutzigen Youngtimer zum letzten Mal aus der schmutzigen Hofeinfahrt rangierte – und ich weiß endlich, wie dieses Wort geschrieben aussieht.
Jetzt kann es aber ebensogut stehenbleiben.
Franz Mechsner meint
Liebe Familie Praetorius,
ich möchte Ihnen nur schreiben, mit welch steigender Neugierde, Aufmerksamkeit und schließlich Begeisterung ich in Ihren Webseiten herum stöbere. Selten fangen mich Texte derart ein. Sie schreiben wirklich gut und lebendig, sehr gegenwärtig, oft erweckend ehrlich und berührend, etwa in der Geschichte von der Steinigung des Klassentrottels. Ich kann kaum aufhören, erfreue mich an Vielseitigkeit und teilweise genialem Wortwitz („Wortsetzung folgt“ z.B., das Spiel mit den CCs…).
Wenn Sie den nächsten Wasserfall sehen: Der ist von mir bestellt, Sie unaufhörlich zu loben.
Herzlich
Ihr
Franz Mechsner