Kabelmaustherapie
Bisher hat niemand Lust gehabt, die funktionsunfähigen Mäuse zu entsorgen. Sie liegen immer noch auf dem Schreibtisch. Die alte Kabelmaus, die ich mir als Ersatz aus der Wühlkiste gefischt habe, ist zum Arbeiten im Bett ohnehin viel besser geeignet. Sehe ich sie einmal nicht, ziehe ich einfach am Kabel, und schon ist sie wieder da.
Ich hatte fast vergessen, wie es sich anfühlt, immer zu wissen, wo meine Maus gerade ist. Sie ist am Ende des Kabels. Am anderen Ende übe ich, und zwar extrem entspannt, laufend Kontrolle über ihren Aufenthaltsort aus.
Je länger ich dieses Gefühl genieße, desto fester wird meine frisch entwickelte Überzeugung, dass sich das Erlebnis Kabelmaus in Wellnessoasen, Massagetempeln und Luxus-Spa-Resorts verkaufen würde wie geschnitten Brot.
Mit einer Investitionssumme von null ließe sich bereits ein ganz ordentliches mobiles Studio aufbauen und perfekt für Wellnessanwendungen mit unterpfundigen Kunststoffauflagen einrichten.
Der Handwerker erklärt das jetzt
Ein Mikro-Arbeitsbereich mit Klappfunktion und farblich passender Wasserschutzhülle lässt sich aus jedem haushaltsüblichen Jugendstil-Schleiflacktischchen mit selbstreinigenden Schublädchen, aufklappbarer Leichtholzplatte, innengelagertem Videospiegel, lautloser Dauerstromversorgung, Schuko-Gardena-Adapter, versenkbaren Mausbuchsen und zuschaltbarer Stecker-Luft-Einzugsführung zusammenbasteln. Dann nur noch Nebenaggregat anmelden, steuergünstige Sonderzulassung auftupfen und auf keinen Fall das Verzinkungsprotokoll verlieren.
Für Schulungen und Diplome in den wichtigsten Wellnessbereichen müsste der Besitzer einen Kredit und zwei Jahre Urlaub nehmen, könnte jedoch sofort danach zum Preis einer normalen Tageskarte eine sechsstündige Aufenthaltserlaubnis in unmittelbarer Nähe seiner Zielgruppe kaufen.
Der Typ geht ran
Innerhalb weiterer zehn Minuten hätte er sich in attraktive Bademode gekleidet, die Duschräume durchquert, das Haar benetzt, den Bauch eingezogen und sein mobiles Studio zügig am Beckenrand entlang und durch die prächtigen Mosaiktüren in den Wellnessbereich getragen. Es stünde voll aufgeklappt vor der erstbesten besetzten Ruhebank oder Entspannungsliege, und während ich den Rest dieses Satzes tippe, hätte die wellnesshungrige Wunschkundin den neuen mobilen Anwender bereits registriert.
Schon lässt sie die schweren Augenlider ein wenig in den Kopf zurückfließen. Ein Blick aus den schamfreien Tiefen des Halbbewusstseins quillt zwischen ihnen hervor, nimmt das Gesicht des höflich wartenden Jungunternehmers aufs Korn und umrundet dann sein Präsentarium, aufmerksam und immer im flachsten aller möglichen Bögen.
Hände, Halsbeuge und Bauchnabel unterzieht sie lediglich einer raschen Funktions- und Verwendbarkeitsprüfung und beendet die Blickschweiflegung mit dem Anheben einer Augenbraue, weil sie erst jetzt die tätowierte Stoppuhr entdeckt hat.
Als arbeitsfähige Frau ist sie natürlich Wellnessexpertin. Aber interessant: Kein Schwerkraftstaub im Haar, also keine Städtische … vielleicht eine spionierende Saisonkraft vom Obertondiscount? Oder aus dem Stress des Kreativturms in die Nostalgie weißer Kacheln geflohen. Spuren häufiger Hand- und sogar Daumennutzung, vor allem dieser routinierte Bogenblick.
Er muss es wissen.
„Abschluss vor Berufsschwemme?“
Als Antwort hebt sie die Daumen, beugt beide Mittelgelenke gleichzeitig und bringt sogar den traditionellen Begleitspruch zusammen: „Echt knickt noch!“
Echt knickt noch lange nicht
Der Therapeut, unsanft in die Hauptstranghandlung zurückgeworfen, lässt vier oder fünf Sekunden verstreichen und streckt dann, knapp unterhalb des Blickfelds der Kundin, eine Hand nach dem Studio aus. Mit kleinen, präzisen Fingerbewegungen und ohne hinzusehen öffnet er ein winziges Schublädchen und entnimmt ihm eine Kabelmaus.
Er wartet, bis das Kabel sich auf Lufttemperatur erwärmt hat, und neigt dann die Hand ein wenig. Das Ende mit dem Anschlussstecker gleitet über den Rand seines Handtellers und baumelt kurz in der Luft herum. Dann nimmt der Kabeleinzug Witterung auf, der Stecker trudelt zur linken Anschlussbuchse des Studios und schlüpft hinein: Genau rechtzeitig und ebenso glatt wie bei der Generalprobe!
Die Berechnungen stimmen, die Übungen mit der Stoppuhr zahlen sich aus. Jetzt aber nicht zu früh triumphieren, sonst zieht die interessante Dame womöglich ihren Blick ab … Schafft sie es, ihn durch einen von der Frühschicht zu ersetzen, ist jede Chance auf einen kleinen Flirt dahin, und er verliert bis zu fünfzehn Minuten: Erst Rückfall in Small Talk, erneutes Erklären des Angebots und schließlich das Warten, immer das Warten auf die Wirkung der Worte, und bis solche Worte bei so einer wirken, könnte er den Dessertwagen viermal leerfressen und die Löffelchen dazu.
Jetzt einfach kein Zögern mehr!
Er legt die Kabelmaus in eine erwartungsvoll geöffnete Hand.
Die Kundin braucht kaum eine halbe Sekunde, um mit ihren voll nutzbaren Fingern und synchron knickbaren Gelenken das Mauskabel zu erfühlen. Und dann wird auch sie überwältigt von dem fast vergessenen Glücksgefühl, eine Maus zu halten, die sie nicht verlieren kann. Sie schließt die Augen und winkt kurz mit der anderen Hand. In der einen hält sie seine Kabelmaus.
Die süßen Törtchen des Erfolgs
Der Kabelmaustherapeut nickt zufrieden. Die Kundin wird in den nächsten zehn Minuten keine Lust auf Konversation oder andere Ablenkung haben. Er kann in Ruhe zwei weitere Mäuse platzieren und dann zurückkommen, um die erste wieder abzunehmen und der Kundin die Rechnung vor die Nase zu halten.
Bereits jetzt freut er sich darauf, diesen ganz besonderen Blick bei ihr wiederzusehen, diesen treuen Begleiter magischer Momente, in denen ein Mensch bei vollem Bewusstsein von Zahlungswilligkeit völlig durchdrungen wird.
„Danke!“, wird sie vielleicht hauchen, oder: „Das war der schönste Tag meines Lebens!“, oder: „Machen Sie auch Hausbesuche?“
Dann erst wird sie sich aufsetzen, ganz Zahlungsbereitschaft und Jugendfrische. Sie wird ihr Portemonnaie in der glanzmintgrünen Wellnesskorktasche finden, erst viel Geld und dann freiwillig noch mehr Geld herausnehmen und ihm schließlich alles überreichen.
Wird er alles gleichzeitig bekommen, oder gehört sie zu denen, die keine Geldübergabe auslassen können?
Er weiß es nicht und runzelt die Stirn beim Gedanken an die vielen Übungsstunden, die es ihn kosten würde, dieses Wissen auch noch zu erwerben. Früher musste er darüber gar nicht nachdenken, da jede Stunde sein komplettes Jahresgehalt verschlungen hätte. Erst jetzt begreift er, was Benni Horst empfunden haben musste, als er neulich, erschöpft vom Geldwerfen im schweren Pelz, seiner Aromachauffeuse anvertraute, Reichtum sei auch nur die Fortführung der Armut mit anderen Mitteln.
Irgendwas ist wichtig. Die Augen aufmachen! Da kommt es zurück.
Er öffnet die Augen. Da steht das Studio, da sitzt seine Kundin. Bezahlen muss sie noch.
Sie schiebt alles Geld zurück ins Portemonnaie, wirft das Portemonnaie zurück in die Korktasche und bedeckt es mit einem glänzenden Tuch.
Sie schiebt den Korb mit dem Fuß bis fast unter sein Studio.
Hat sie gesagt, er könne den Korb behalten? Hat sie gesagt, wohin? Wenn sie geht?
Das ist wichtig.
Sie geht.
Er kann jetzt in Ruhe die beiden Mäuse abnehmen und den Kundinnen ihre Rechnungen unter die Nase halten. Oder vielleicht auch nicht in Ruhe, wenn in die Zerstäuber gerade mal wieder doppelt so viel Zeit wandert, wie der Raum tatsächlich benötigt.
Für jedes Konzept, das Gott verwirft, hat er woanders eine Schnapsidee
Bisschen spät mit der Flagge. Aber gut. Deshalb also. Wenn es jetzt erst riecht, war wohl hier drin wirklich ziemlich unterbeduftet. Gefährlich. Zwar äußerst wirtschaftlich, vor allem, wenn es vorbei ist. Aber muss man denn wirklich alles leermachen, bloß weil es billig ist?
Zeit ist mit einem Preis von null pro Pfund das billigste Raumluftaroma der Welt. Trotzdem ärgert er sich über die Verschwendung, denn diesmal war sie teuer. Mindestens die Hälfte der Erinnerung an seinen ersten Flirt ist weg … und die Dame kam woandersher.
Jedes Mal fehlt nachher mehr, als sich oben nachlesen lässt. Das weiß er einfach. Es wird längst nicht mehr alles aufgeschrieben, was fehlt. Wozu auch, normalerweise. Wenn es doch nicht so fehlt.
Die Dame kam aber woandersher. Und nur einmal. Das fehlt dann natürlich anders.
Wie konnten die Knicker sich eigentlich ihre Grundbeduftung leisten, wenn Zeit vor der Berufsschwemme Geld war?
Vielleicht war es der erste Flirt seines Lebens.
Leonie meint
Das hat mich jetzt irgendwie etwas planlos zurückgelassen…
Christine meint
Ich könnte dir die Therapiemaus leihen. Zufällig weiß ich genau, wo sie ist.
felix meint
Ohne den Artikel gelesen zu haben….. Ich habe gerade 2 mäuse am gleichen PC angeschlossen ( das funktioniert erstaunlicherweise )
Bei der ersen Maus ist die linke taste defekt
bei der anderen die navigationsoptik
also beutze ich die eine maus für die postiion, die andere zum klicken.
ds macht einen wahnsinning und ich bin trotzdem zu faul da as zu machen weil wir zuviel andre probleme haben :(