Was dem einen Recht ist, bleibt dem anderen links liegen
Schon die Ausgangssituation war befremdlich: Mittwoch Mittag, Ende März, wir öffnen das Fenster, es schneit ins Bett.
Zum Glück hatten wir wenigstens eine vernünftige Beschäftigung: Wir dachten über die korrekten Rechnungsangaben für Auslandsrechnungen nach. Wollten a) den Paragraphen finden, der das Auslandslieferungsumsatzsteuerwegfallgesetz für Dienstleistungen regelt, und b) wissen, ob überhaupt ein Paragraph auf die Rechnung muss oder der Hinweis auf Abschiebung der Umsatzsteuerschuld in Verbindung mit all den Steuernummern nicht schon reicht.
Seit einer halben Stunde klickten wir diesem Paragraphen hinterher und wurden nicht schlauer.
Das uns, den legendären Paragraphenverstehern und schriftlichen Simultanübersetzern aus dem Juristendeutschen, die wir regelmäßig ganz andere Hürden mit lockerster Hüfte nehmen!
Hatte ich nicht neulich erst das Ehegattenerbrecht fast verstanden? Die Risiken einer rückwirkend ausgeschlossenen böswilligen Vererbung des Nießbrauchs an Abkömmlinge dritter Ordnung zur steuerlichen Verschonung der Güterstandsschaukel erklärt?
Hatte Christian nicht ein zwanzigseitiges Werk über die Unternehmenserbfolge in EU-Ländern zerlegt? Hatte er nicht tiefer als je ein Mensch zuvor in die Problematik länderüberschreitender, grenzübergreifender und generationenüberspringender Kapitalverschleppung geblickt und nebenbei eine unentdeckte Steuerlücke geschlossen?
War das der Dank?
Es ist was faul im Status Quo
Dass wir beide, satt, wach und gemeinsam, irgendeinen Umsatzsteuerzwergparagraphen nicht in Sekundenschnelle dingfest machen, zuordnen und verwerten können, gibt es nicht. Ein Fluch war viel wahrscheinlicher. Irgendein billiges Hexenwerk, wie geschaffen, steuerehrlichen Bürgern das Mittwochswerk zu verhageln. Als läge nicht bereits Schnee auf den Kopfkissen zum Frühlingsanfang!
Wundern muss man sich ja nicht: Baupläne für simple Voodoozauber oder ein billiges Plugin zur räumlich begrenzten Störung des Strukturwillens kann sich heute jeder Teenager über das Internet beschaffen und den Rechner mit drei Mausklicks in einen Plasmaball, einen Golem oder ein vorgewärmtes Götterei verwandeln. Und die Naturgesetze streiken in Duisburg ohnehin dauernd. Ich weiß schon gar nicht mehr, wer damit angefangen hat und worum es ursprünglich ging.
Wir jedenfalls hatten nichts angestellt.
Im Gegenteil: Fleiß, Verantwortungsbewusstsein und Freude an ehrlicher Arbeit hatten unseren Tag bis zu dem Moment bestimmt, in dem Christian beschlossen hatte, diese Rechnung noch schnell fertigzumachen.
Nach weiteren unerklärlich fruchtlosen Recherchen und dem mühsamen Ausschluss unwichtiger Klauseln standen nur noch drei jämmerliche und ebenfalls nicht überzeugende Paragraphen zur Auswahl.
Da gab es diesen einen, aber wie der schon am Anfang … Nein.
Der daneben sähe grundsätzlich gar nicht schlecht aus, wäre da nicht diese offenbar unpassende … Auch nicht.
Dann muss es der letzte sein! Sehr schön! Halt! Geschenk nach einer Baustofflieferung? Aber warum … steuerlich absetzbares Schmiergeld?
Ach, die guten, alten Pakete und freundlichen Zollzettel! All die guten Sachen, die man anfassen kann!
Umsatzsteuer ist keine Glaubensfrage
Weil wir es uns nicht leisten können, stundenlang in strukturgeschwächter Raumluft zu sitzen und auf die Naturgesetze zu warten, riefen wir einen Kollegen aus der Marketingecke zu Hilfe. Der erklärte uns innerhalb von zehn Sekunden, das sei „ganz klar § 13b“, denn bei Dienstleistung gelte die einfache, goldene Regel „Du liefers ja nich.“
Er wusste sogar, dass dieser Paragraph gerade erst geändert worden ist, was jedoch nichts bedeute, denn „die ändern den sowieso andauernd.“
Ferner müsse der Paragraph sowieso nicht auf die Rechnung, da dort bereits „Empfänger trägt UST-Schuld“ stünde – und falls nicht, sollten wir das halt mal hinschreiben jetzt und uns nicht in die Hosen machen.
Alles schien sich plötzlich aufklären zu wollen. Outlook zeigte wieder Konsonanten an, Google erinnerte sich an unsere Muttersprache, und ich fand ein idiotensicheres, nagelneues Rechnungsmuster von der IHK Stuttgart, dem bodenständigsten Verein von allen.
Sogar unser Buchhaltungsprogramm kannte den Paragraphen 13b UStG und lud zur Verwendung seiner automatisierten, selbstrechnenden Maskenvielfalt ein, um alles sofort in die stabile Seitenlage oder nächste Marienkapelle zu buchen, wie es das von seinen Vätern gelernt hat.
Darauf war Christian jedoch schon einmal hereingefallen.
Eine Zahl und dann doch keine Lösung
Als wir § 13b genauer untersuchen wollten, stellte sich heraus, dass Internet und Umsatzsteuergesetz immer noch nicht funktionierten. Unsere bewährten Rechtslinks und eselsohrigen Lesezeichen lieferten Fenster, und da war auch irgendwas drin, aber mehr war da nicht, und Klarheit ist anders.
Paragraph 13b UStG entzog sich der Recherche und bewies dabei sogar Humor: Als wir ihn wegwerfen wollten, kam er immer wieder und brachte immer mehr und immer neue widersprüchliche, themenfremde, nutzlose und geradezu beleidigende Bedeutungen mit. In rascher Folge schien er die Einfuhr von Schweineblut, den Handel mit belgischem Blaustein und den internationalen Muttermilchversand zu reglementieren.
Zum Glück gibt es überraschende Wenden
Wir verließen kurz das Zimmer, um die Reichweite des Fluchs einzuschätzen, und fanden die Naturgesetze in Bad und Küche intakt und bei der Arbeit vor. Der Kaffee, den wir uns kochten, zeigte auch beim Verlassen der Küche kein abnormes Verhalten: Er ließ sich tragen und abstellen wie immer, sogar die Zeitspanne bis zum völligen Erkalten schien unverändert.
Trotzdem konnten wir an diesem Tag nicht mehr arbeiten, allerdings aus einem so rührenden Grund, dass wir sogar dem Mittwoch verziehen: Unsere Mäuse hatten die seltene Viertelstunde ungestörter Zweisamkeit zum Austausch ihrer Funkfrequenzen genutzt.
Den Verlust ihrer Funktionsfähigkeit deuteten wir zuerst falsch und strengten die ermatteten Kleingeräte noch mehr an, indem wir ein Paar Batterien nach dem anderen einlegten und wieder ausbauten und sogar an den nutzlos gewordenen USB-Funknäpfchen herumschmirgelten. Zu spät bemerkten wir den schwachen Ozongeruch, die winzigen Bläschen am Unterboden, die rosig eingetrübten Lämpchen und die charakteristische Tastenlockerung.
Nachdem wir Bescheid wussten, verstanden wir nicht mehr, wie wir das hatten übersehen können. Wie der Rest der Menschheit hatten aber auch wir dieses Phänomen nie zuvor direkt miterlebt; wer ab und zu fernsieht, weiß, wie astronomisch gering die Wahrscheinlichkeit ist. Auf dem einzigen Foto, das der Wachmann eines Elektrogeschäfts im Jahr 1995 geschossen haben will und das seither im Netz kursiert, ist auch nicht gerade viel zu erkennen; nach unserem neuen Wissensstand würden wir fast so weit gehen, es als Fälschung zu bezeichnen. Aber das sollen andere entscheiden.
Wir jedenfalls nahmen uns den restlichen Abend frei.
Ganz leise tranken wir Champagner mit Rhabarbersaft und bemühten uns dann, beim Ankleiden zwischen Schranktüren so wenig wie möglich mit Bügeln zu klappern.
Helden erkennen, wann Rätsel warten können
Da im echten Duisburg am Mittwochabend nichts los ist, nutzen wir die Gelegenheit, mal wieder dem fiktiven einen Besuch abzustatten. Zuerst besuchten wir die Große Seifenoper, dann den Golfplatz, vier Edelfressbuden am Innenhafen und schließlich noch die Pferderennbahn. Dort setzten wir unseren letzten Fünfer auf das Pferd mit der schlechtesten Laune und gewannen überraschenderweise einen sechsstelligen Geldbetrag.
Zwanzig Minuten später folgten uns etliche Herren, angeblich von der Rennleitung, ins Freie und versuchten, uns das Geld mit Hinweis auf die angebliche Sabotage des Wettcomputers und grobe Regelverletzungen durch das Pferd wieder abzuschwatzen.
Zwei andere als wir wären in dieser Situation wohl eingeknickt: Die Kälte der Märznacht, mein dünnes Abendkleid, Christians rutschende Brille, der verpasste Nachtbus, dazu dieses dauernde Gebrüll und Gefuchtel mit Schusswaffen … am Ende eines so langen Tages hätten wir darauf gut verzichten können. Andererseits hatten wir einen Koffer voll Geld zu verteidigen, das wir in Gedanken bereits mehrfach ausgegeben hatten.
Nach kurzer Beratung entschlossen wir uns zum Kampf.
Weder episch noch Duell, aber wenigstens gewonnen
Mit überraschenden Tatsachen und messerscharfen Argumenten trafen wir sofort den empfindlichsten Nerv der Finsterlinge. Danach war es ein Leichtes, sie mit geschliffenen Formulierungen bei der Stange zu halten, bis einer nach dem anderen sich packen und fesseln ließ.
So konnten wir die Angelegenheit zu unseren Gunsten entscheiden, ohne gegen unser Berufsethos zu verstoßen. Immerhin wissen wir nie, wer gerade zusieht; das fiktive Duisburg hat viele Augen.
Leser, die wie wir eine Schwäche für die Juristerei haben und in einer ähnlichen Rennbahnsituation ihren Geldkoffer ebenso erfolgreich verteidigen möchten, finden im Folgenden eine Zusammenfassung und nähere Erläuterung der Hauptargumente.
Zu guter Letzt: Die Spielwiese für den Juristen
Selbst unter Wettexperten, Stallbesitzern und Jockeys ist kaum bekannt, dass die grundsätzliche Qualifikation (Bahnreife) eines Rennpferdes weder an das Führen eines Namens noch an das Tragen eines Reiters gebunden ist.
Viele Pferde nutzen diese weitverbreitete Unwissenheit aus, um sich im Rennen Vorteile zu schaffen, etwa durch geringeres Gewicht, dynamischeres Kurvenverhalten und höhere Reaktionsgeschwindigkeit. Was allerdings unter anderen gesetzlichen Voraussetzungen einem unlauteren Wettbewerb gleichkäme, muss hier andersherum betrachtet werden: Da keins der anderen Pferde zum Tragen eines Namens oder Reiters verpflichtet wäre, gelten diese ale freiwilliges Handicap.
Selbst, wenn unser Pferd sich des unlauteren Wettbewerbs und der Vorteilserschleichung schuldig gemacht hätte (was bestritten wird), fiele diese Argumentationskette hier nicht weiter ins Gewicht, da kein echter, sondern nur ein nominaler Sieg vorlag, ausgelöst durch die Fehlberechnungen des Wettcomputers, für dessen vorschriftsmäßige Wartung die Menschen zuständig sind.
Durch Barauszahlung eines Wettgewinns erkennt der Veranstalter jedoch die Richtigkeit der Ergebnisse an und kann dies später nicht mehr zurücknehmen. Aus diesem Grund raten Fachanwälte zum genauen Sichten und Nachprüfen der Computerergebnisse vor der Auszahlung hoher Wettgewinne; diese einfache Möglichkeit zur Absicherung hatte der Veranstalter in unserem Fall nicht genutzt.
Der Einsatz sabotierbarer Geräte im Wettsport hingegen stellt einen sehr schweren Straftatbestand dar. Wer mit falschen Computerzahlen oder der Unzuverlässigkeit seiner Geräte argumentiert, schneidet sich ins eigene Fleisch und riskiert eine Anzeige. Die Verurteilung führt in aller Regel zur Schließung des Betriebs auf Lebenszeit; kommen dann noch hohe Geldbußen oder eine Haftstrafe dazu, drohen Überschuldung, sozialer Abstieg und innere Vereinsamung, mit denen vormals stolze, gesellige, immer satte und stets gutgekleidete Kriminelle besonders schwer zurechtkommen.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Veranstalter Einsicht zeigte.
Zwar gehören diese Informationen nicht zur Allgemeinbildung, aber wir schreiben nunmal viel über das deutsche Recht. Da ist es nur natürlich, dass auch die eine oder andere nützliche Information hängenbleibt.
Beraterhinweis: Den o.g. Erläuterungen liegen Urteile des Fiktivgerichts Linksrhein-Niederfalen (FktGLrNf) zugrunde, das als einzige und letzte Instanz Deutschlands berechtigt zur Verhandlung fiktivrechtlicher Geldkofferdelikte ist. Kläger, Beklagter und Rechtsvertreter kann nur werden, wer uns nachher erzählt, wie es gelaufen ist.
Schreibe einen Kommentar